Der genetische Fingerabdruck

Vaterschaftstests, die Identifikation von Unfallopfern und nicht zuletzt moderne kriminaltechnische Ermittlungsarbeit wären ohne den DNA-Test zum Teil unvorstellbar. Die Debatte, die sich vor allem um den letzten Punkt, um die Anwendung im kriminologischen Bereich, entzündet hat, wird allzu oft allein mit Polemik und Rethorik geführt. Nur schwer sind die darin versteckten Ansichten und Argumente zu entdecken, was nicht zuletzt am mangelnden Hintergrundwissen der Leute liegt. Wir setzen uns für eine sachliche Diskussion dieser ernsten Thematik ein und bieten Euch deshalb an dieser Stelle den nötigen Background an.


Was ist ein genetischer Fingerabdruck?


Der genetische Fingerabdruck ist ein charakteristischer biochemischer Code eines Menschen, der aus der menschlichen Erbsubstanz, der DNA (Desoxyribonuklein-
säure), gewonnen wird.

Die DNA kannn man sich als einen etwa 2 langen Faden vorstellen, der zu einem Knäuel zusammengewickelt ist. Nur zur Bildung von Proteinen wird er kurzfristig auseinandergefitzt. In jeder der ca. 1.000.000.000.000. menschlichen Zellen gibt es so einen Knäuel. Und auf jedem einzelnen davon ist der gesamte genetische Code gespeichert.

Die Grundbausteine der DNA sind die Nukleotide, welche zu einer Doppelhelixstruktur verknüpft sind. Ein Nukleotid besteht aus einem Zuckermolekül, einem Phosporsäurerest und einer der 4 DNA-Basen. Die 4 Basen, namentlich Thymin, Adenin, Cytosin und Guanin, verknüpfen über Wasserstoffbrücken die beiden perlenartigen Stränge der DNA zu der bereits erwähnten wendeltreppenartigen Doppelhelix (Abb 1). Der Witz dabei ist, daß sich jeweils nur zwei Basen miteinander verbinden können: Thymin mit Adenin sowie Cytosin mit Guanin.

Läuft man jetzt entlang des einen Stranges der Doppelhelix und schaut sich die jeweiligen Basen an, dan weiß man genau, welche Basen auf der anderen Seite liegen müssen. Diese Anordnung, in der die Basenfolge der einen Seite die Basenfolge der anderen Seite bestimmt, nennt man komplementär:

  • Adenin – Thymin
  • Cytosin – Guanin
  • Thymin – Adenin
  • Thymin – Adenin
  • Adenin – Thymin
  • Guanin – Cytosin
  • Cytosin – Guanin
  • … usw.

Wählt man jetzt an einer charakteristischen Stelle der DNA-Helix ein Abschnitt mit einer Länge von z.B. 50 Basenpaaren aus, dann erhält man eine ganz bestimmte Abfolge der 4 Basen. Wiederholt man dieses Verfahren an ca. 20 anderen Stellen der DNA einer Person (die Gesamtlänge der DNA beträgt beim Menschen pro Zelle 2 Meter), dann bekommt man einen für genau diese Person individuellen Code (Abb. 2). Vergleicht man diesen Code mit dem einer zweiten Person, von der man an genau denselben charakteristischen DNA-Stellen die Basenpaare protokolliert hat, dann ist die Wahrscheinlichkeit (bei ausreichender Länge und Anzahl der Prüfstellen), daß beide genau denselben Basencode haben, gleich null. Wir haben damit einen für jeden einzelnen Menschen individuell charakteristischen genetischen Fingerabdruck, der ihn in 100% der Fälle identifizieren kann.

Welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein, um einen genetischen Fingerabdruck aufzunehmen?


Der genetische Fingerabdruck kann nur bei Tatverdacht aufgenommen werden und es muß eine erhebliche Straftat begangen worden sein. Gegenwärtig muß außerdem das Einverständnis des Betroffenen vorliegen. Andernfalls müssen die Polizeibeamten einen richterlichen Beschluß einholen. Der BDK (Bund Deutscher Kriminalbeamter) wünscht sich aber ein vereinfachtes Vorgehen ohne richterlichen Beschluß, um die Zeitverzögerung durch diese bürokratische Hürde zu vermeiden. Außerdem, so der BDK-Vorsitzende Rüdiger Tost, stehe nichts von einem erforderlichen richterlichen Beschluß in der Verfassung.

Die Praxis – Wie entsteht ein genetischer Fingerabdruck?


Sind die oben genannten Voraussetzungen erfüllt, dann wird zuerst eine geeignete DNA-Probe genommen. In der Regel gewinnt man die für genetische Fingerabdrücke erforderliche DNA aus den Kernen weißer Blutzellen (Leukozyten). In der täglichen Ermittlungsarbeit genügen aber auch geringe Mengen Speichel, Sperma, Haare oder Hautschuppen.

Die genommene Probe wird ca. 2-3 Tage im Trockenschrank der Aservatenkammer getrocknet und anschließend in das zuständige Labor geschickt. Folgende Angaben werden zusätzlich zur DNA-Probe unter Wahrung des Datenschutzes mitgeschickt:

  • Vorgangsdaten (Ermittlungsdienststelle, Untersuchungsdienststelle)
  • Spurendaten
  • Erfassungsdaten (z.B. Erfassungsdienststelle, -datum, Nr. des Datensatzes)
  • Personalien in einer Anonymisierungsformel: Geburtsjahr, Anfangsbuchstaben des Vor- und Nachnamens, ethnische Zugehörigkeit

Im Labor wir zunächst ein geeigneter ca. 2 Meter lange DNA-Faden mit bestimmten Schneideenzymen in hunderte von Bruchstücken verschiedener Länge zerlegt. Um diese Bruchstücke zu sortieren, werden sie in den Schlitz eines Gels gefüllt und unter Strom gesetzt (Elektrophorese). Kleine DNA-Stücke wandern schneller zum elektrischen Pluspol als große; nach einigen Stunden sind so alle Fragmente ihrer Länge nach angeordnet.

Hier ist das Beladen eines Acrylamidgels dargestellt. Die Proben werden gerade mit einer Hamilton-Pipette in die Taschen gegeben. Sobald alle Taschen beladen sind, wird ein elektrischer Strom angelegt, der zur Auftrennung der Moleküle im Gel führt.
(Institut für Immungenetik Universitätsklinikum Charité, Medizinische Fakultät der Humboldt Universität zu Berlin)

Jetzt müssen charakteristische Stellen an der DNA ausfindig gemacht werden. 1985 fand Alec Jeffries die ersten sogenannten VNTRs (variable number tandem repeats)und entwickelte die ersten „DNA Fingerprints“. Dabei sind besonders die STRs (short tandem repeats, Länge von 100 – 400 Basenpaare) von Bedeutung. Sie heißen short tandem repeats, da sie kurz (short) sind, aus einer sich immer wiederholenden Grundeinheit bestehen (repeat), so wie sich bei einem Tandem eben Sattel und Pedale wiederholen. Es gibt Hunderte solcher DNA-Abschnitte, die von Mensch zu Mensch unterschiedlich sind und somit für kriminologische Anwendungen geeignet sind.

Man taucht das Gel mit der sortierten DNA in eine Lösung, die ebenfalls DNA enthält, und zwar sehr kurze DNA-Stücke – sogenannte Sonden. Die Basen der Sonden-DNA werden von den entsprechenden komplementären Basen der DNA-Fragmente im Gel angezogen. Weil die DNA an sich farblos ist, haben wir jetzt nur eine milchig weiße Flüssigkeit. Um die Basen-Sequenz sichtbar zu machen, werden daher die angedockten Sonden durch eine Farbreaktion sichtbargemacht; es entsteht ein Muster dünner farbiger Streifen – der genetische Fingerabdruck.

Je mehr Streifen der genetischen Fingerabdrücke zweier Menschen übereinstimmen, desto näher sind diese miteinander verwandt. Der genetische Fingerabdruck jedes Menschen setzt sich je zur Hälfte aus dem Streifenmuster der Mutter und des Vaters zusammen; nur eineiige Zwillinge haben dieselben genetischen Fingerabdrücke.

Codierende und nicht-codierende Teile


Viele befürchten nun, daß man bei solch einer DNA-Analyse viel mehr als nur die Identität des Täters feststellen kann. Die Befürchtung ist in Hinblick auf Verwandschaftsbeziehungen begründet, wie oben erläutert, was sich aus einm genetischen Fingerabdruck entgegen aller Vorurteile nicht ablesen läßt, sind persönliche, sprich genetisch codierte Eigenschaften des Untersuchten. Bekanntermaßen sind unsere Gene (Genotyp) in gewisser Weise für ganz bestimmte Eigenschaften (Phänotyp), wie Haarfarbe oder Rassenzugehörigkeit verantwortlich. Doch codiert nur ein ganz kleiner Teil der gesamten DNA den Phänotyp, nur ca. 2%. Die restlichen 98% der Erbsubstanz sind Müll, sogenannte Junk-DNA, der sich im Laufe der Evolution angesammelt hat. Und nur mit Hilfe dieser 98% wird der genetische Fingerabdruck erstellt. Ganz auszuschließen ist es natürlich nicht, daß nicht doch einige Teile noch nicht als codierende erkannt worden sind. Sobald sich aber herausstellt, daß ein für die Fingerprints genutzter Teil der Junk-DNA doch phänotypisch codiert, wird er nicht mehr für die Analyse verwendet und aus den bereits genommenen Proben entfernt und eventuell durch andere Teile ersetzt.

Bedeutung der DNA-Analyse für die Ermittlungen


Mit der Fertigstellung des Genetischen Fingerabdruckes sind die Ermittlungen keineswegs abgeschlossen. Wenn z.B. Spermaspuren am Tatort gefunden worden sind, sagt das nur, daß der Betroffene am Tatort war, jedoch ist damit keineswegs seine Schuld bewiesen. Die Schuldfrage läßt sich allein mit einer DNA-Analyse nicht klären, vielmehr gilt der Gentest nur als Indizienbeweis. Dennoch kann man eine Tendenz in der Ermittlungspraxis erkennen, die nichts Gutes verheißt. Gerne würde man sich auf die DNA-Analyse stützen und ihr eine bedeutendere Rolle in einem Strafprozeß einräumen. Jedoch scheitert dies gegenwärtig noch an dem technischen und bürokratischen Aufwand. Das heißt, noch „… spielt die konventionelle Ermittlungsarbeit die Hauptrolle“ betont die Kriminalhauptkommisarin Sabine Damm. „Man untersucht lieber drei als zwanzig Proben.“ Je stärker der Druck aber auf die Justiz und die Polizei wird, schnelle Verurteilungen vor allem für Sexualstraftäter auszusprechen, desto mehr rückt möglicherweise der Gentest ins Zentrum des Interesses.

Der Fall Christina Nytsch – Die Zentrale Gendatenbank


Als im Sommer 1998 die 11-jährige Christina Nytsch ermordet aufgefunden wurde, kam es zum bislang größten Gentest in Deutschland. Mit Erfolg. Aus den Daten von 18.000 Männern konnte der Täter eindeutig identifiziert werden. In Niedersachsen hatte es bei den Ermittlungen zum Mord an der elfjährigen Christina Nytsch im März 1998 eine der größten Speichelreihenuntersuchungen der deutschen Kriminalgeschichte gegeben. Alle genetischen Daten, bis auf die des später zu lebenslanger Haft Verurteilten, wurden aber wieder aus den Akten gelöscht.

Mit dem Erfolg der Ermittlungen im Fall der 11jährigen Christina Nytsch beginnt auch die Geschichte der DNA-Analyse-Datei (DAD). Denn nur so läßt sich die DNA-Analyse wirklich effektiv einsetzen. Angenommen, alle Bundesbürger wären in der DAD gespeichert, dann bräuchte man nur noch die Spuren an einem Tatort mit dieser Datei vergleichen und schon hätte man den Kreis der Verdächtigen auf vielleicht ein Dutzend eingegrenzt. In der seit dem 17.04.1998 bestehenden DNA-Analyse-Datei sind inzwischen ca. 130.000 Datensätze gespeichert. Zwischen 1998 und 2001 konnten durch die DNA-Analyse 1761 Tatverdächtige ermittelt werden. In weiteren 986 Fällen gelang es, Spuren zusammenzuführen und dadurch Tatzusammenhänge festzustellen. Zu jeder siebten eingegebenen Spur konnte ein Treffer erzielt werden.

Gemäß einem am 3.12.1998 gefassten Beschluss der Arbeitsgemeinschaft der Leiter der Landeskriminalämter mit dem Bundeskriminalamt sind bei Personen-vergleichsproben fünf Merkmalsysteme zu erfassen. Bei Spuren besteht ebenfalls die grundsätzliche Forderung nach fünf Merkmalsystemen, in Ausnahmefällen – abhängig von der statistischen Wahrscheinlichkeit des Vorkommens einer solchen Merkmalskombination – reichen auch drei Merkmalssysteme aus. Im Rahmen von Einzelfallprüfungen wird bei Erwachsenen nach 10 Jahren, bei Jugendlichen nach 5 Jahren festgestellt, ob Daten zu löschen oder zu berichtigen sind.

Vielen geht diese DNA-Analyse-Datei noch immer nicht weit genug. So wird zum Beispiel auf der Webseite www.genetischer-fingerabdruck.de ein „Archiv genetischer Fingerabdrücke […] egal ob nur für Gewaltverbrecher oder für alle Bundesbürger …“ gefordert.

 Autor: Peter Ulber
 Veröffentlichung: 19. Januar 2002
 Kategorie: Bericht
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