Wer nicht konsumiert, fliegt raus – Das Wohlfühlprogramm der Bahn AG

„Es richtig muffig, an der Seite lehnen zwei unansehnliche Gestalten mit der Bierbüchse in der einen und Zigarette in der anderen Hand. Der Boden ist schmutzig, ein Pennerpaar lungert in der Ecke herum und die Wände sind mit Graffiti beschmiert. Die Frau am Kiosk räumt gerade einige Scherben auf. Jetzt quatscht mich einer von hinten an, ob ich mal ’ne Mark hätte. Angewidert wende ich mich ab und beschleunige meinen Schritt. Nichts wie raus hier.“

Dieses Szenario gehört nun dank der 3-S-Initiative der Vergangengeit an. Nirgends mehr diese widerwärtigen Armen und Obdachlosen. Kein Penner oder Punk belästigt die Reisenden.

Der Bahnhof ist zur „Visitenkarte“ der Stadt geworden. Die drei „S“ stehen für Sauberkeit, Service und Sicherheit. Der BGS, die Polizei und der Security-Dienst laufen Streife, unterstützt von den Kollegen hinter dutzenden Überwachungskameras. Jetzt kann man endlich in Ruhe einkaufen und bahnfahren. So wirbt dann auch die Bahn:

„Die Entdeckung Bahnhof. – Jeden Tag alles für alle von überall. Ob auf dem Weg zur Arbeit, am Feierabend, als Reisender, Nachbar, Sonntags-Shopper oder einfach nur so – unsere Bahnhöfe haben jedem jede Menge zu bieten: vom Pils bis zum Prosecco, vom Buch bis zum Blumenstrauß, vom Rechner bis zur Reisetasche.“ Das „Tor zur Stadt“ als Treffpunkt und Knotenpunkt aller Reiseaktivitäten noch attraktiver zu gestalten, ist das vorrangige Ziel des 3-S-Programms: Mehr Service, mehr Sicherheit, mehr Sauberkeit – damit Sie sich im Bahnhof jederzeit wohl fühlen können!

Deutsche Bahn AG

„Der Bahnhof hat mehr zu bieten“ lernen wir von der Bahn. Was aber ist dieses Mehr? Dietmar Wischmeyer hat es treffend formuliert:

„Bahnhöfe sind Supermärkte mit Gleisanschluß.“

Um dieses von der Bahn tatsächlich angestrebte Ideal zu erreichen, hat die Bahn 1994 beschlossen die Aufenthaltsqualität in den Bahnhöfen zu verbessern. Seitdem werden große Teile der Bahnsteige und der Schalterhalle, sowie die meisten Durch- und Aufgänge videoüberwacht. Die Hausordnung verbietet explizit „Herumlungern bzw. Sitzen oder Liegen auf dem Boden“, „aggressives Betteln“ oder „übermäßigen Alkoholgenuß bzw. generell Drogenkonsum“.


Die Bahn eignet sich den ehemals öffentlichen Raum Bahnhof mehr und mehr zu ihrem Privatbesitz an. Dieser wird mit aggressiven und zum Teil diskriminierenden Mitteln verteidigt und von unliebsamen Personen gesäubert. Wer sich nicht zum Zweck der Bahnreise oder des Einkaufes im Bahnhof aufhält, hat nach Ansicht der Bahn dort nichts zu suchen. Obdachlosenverbände, wie die BAG (Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungshilfe) werfen der Bahn in diesem Zusammenhang die gezielte Vertreibung von Randgruppen vor.

Deshalb startete die BAG letzte Woche eine bundesweite Plakataktion gegen die Ausgrenzung und Vertreibung von Randgruppen aus deutschen Bahnhöfen unter dem Motto „Wer nicht konsumiert, muss raus“.

Mit einer öffentlichen Aktion wollen wir gegen die soziale Ausgrenzung und Diskriminierung Wohnungsloser protestieren und für ein Klima der Toleranz werben. Mit der bundesweiten Plakataktion wollen wir deutlich machen: „Die Stadt gehört allen!“. Mit einem Rechtsgutachten soll unter anderem die Frage beantwortet werden: Bahnhöfe – öffentlicher Raum für alle?
BAG (Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungshilfe)

Neben der bundesweiten Plakataktion an über 100 Standorten, gab man auch ein Rechtsgutachten in Auftrag. Dort wurde der auch nach der Privatisierung der Bahn AG immer noch gültige Status des Öffentlichen Raumes betont: „Die rechtliche Stellung der Bahnhöfe macht es nötig, dass sie für alle Bürgerinnen und Bürger zugänglich sind.“ Auf der Webseite der BAG-Initiative findet Ihr aktuelle Pressemitteilungen zum Stand der Aktion und die Plakate inklusive Bestellformular. Ihr könnt die Initiative „Wer nicht konsumiert, muss raus!“ auch finanziell unterstützen. Alle Infos dazu gibt es auf deren Internetseite.

 Autor: Peter Ulber
 Veröffentlichung: 25. Februar 2002
 Kategorie: Nachricht
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