Die sogenannten Gated Communities, d.h. abgeschlossene und überwachte Wohnbereiche in den Vorstädten der Metropolen üben nicht nur in den Vereinigten Staaten eine enorme Sogwirkung auf viele Menschen aus. Die Nachfrage nach solchen Wohnkomplexen mit Gemeinschaftseigentum (Sport-und Freizeitanlagen) steigt weltweit, vor allem in den Ballungsräumen vieler Schwellenländer oder Staaten der Dritten Welt.
In der Sowjetunion wurden schon viele ehemalige Datscha-Siedlungen der Parteiprominenz zu Gated Communities umgestaltet. Niemand Geringeres als das Ehepaar Thatcher löste Mitte der Achtziger Jahre in Großbritannien lebhafte Debatten über die Verantwortbarkeit dieser (so die anfängliche Befürchtung) die Gesellschaft spaltenden US-Importware aus. Die beiden erwarben damals ein Haus in einer Wohnenklave im Süden Londons.
Aber auch in Deutschland existieren Gated Communities, wie beispielsweise in Potsdam, wo das Bauunternehmen Grooth und Graalfs 1998 eine geschlossene und überwachte Appartmentanlage mit dem wohlklingenden Namen „Arkadien“ fertiggestellt hat, entworfen von einem kalifornischen Büro.
Eine mögliche Ursache dieser Entwicklung ist meines Erachtens die folgende:
Der Traum von einer sozial (und rassisch) homogenen Stadtbevölkerung ist im pluralistischen Chaos der westlichen Großstädte nicht mehr ohne weiteres einlösbar, die Integrität der herkömmlichen Milllieus ist brüchig geworden. Denn die mit den Modernisierungsschüben einhergehenden Bedrohungen durch Kriminalität, Korruption, Sittenlosigkeit, Individualismus, Immigration und Epidemien wegen mangelnder Hygiene (die Liste solcher als negativ empfundener soziologischer Phänomene ließe sich beliebig fortführen) umgingen die WASPs bereits zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts mit der Übersiedlung in die Vorstädte, Scheinoasen einer kleinbürgerlichen Idylle.
Misstrauen sowie eine tiefgreifende Verunsicherung gegenüber der Moderne führten viele frühe Verfechter einer solchen Abschottung dazu, die westliche Großstadt unter Verwendung altbekannter Metaphern als „glitzernde Hure“ oder „Sündenpfuhl Babylon“ zu brandmarken.
Der „suburbian way of life“ besteht, ironisch pointiert, in der akribischen Pflege des Miniatur-Vorgartens, im weißen Anstrich der Dreifachgarage und im Grillwettbewerb der sportbegeisterten Familienväter, die wieder stolz darauf sind, ihren Söhnen Vorbilder sein zu dürfen. Die kaum verhohlene Ablehnung aller Fremdkörper ist groß, nicht konforme Eindringlinge in die darüber hinaus religiös legitimierten Festungen des Wohlstandes sind schlichtweg unerwünscht.
Auch heute ist die Angst vor dem Verlust einer sicher geglaubten Identität ein gewichtiges Motiv für die Abgrenzung- wenn nicht sogar der Wille zur Schaffung einer beliebigen, willkürlichen Identität als Kompensation für die schmachvolle Namenlosigkeit in der offenen Gesellschaft.
Edgar Rice Burroughs (1875-1950), bekannt als der Autor der ersten Tarzan-Romane, erwarb 1919 ein 21 Quadratkilometer großes Landstück im San Fernando Valley und gründete die rein weiße Siedlung „Tarzana“. Die bloße physische Existenz der Schwarzen erzwang und rechtfertigte in seinen Augen bereits diesen Rückzug aus der sich herausbildenden Massengesellschaft.
Die Freiheit und Freizügigkeit bestimmter missliebiger Bevölkerungsgruppen bedeutete auch eine ungezügelte Freisetzung minderwertigen Erbgutes, das den „Blutwert“ der jeweils schützenswerten Ethnie herabsetzt. Walt Disney, dessen Name ja zum Synonym der Umsetzbarkeit von Aufstiegsträumen wurde, entwarf in seinem letzten Projekt eine geschlossene Siedlung nahe Walt Disney World: „Celebration“ die geldgewordenen Illusion.
Aber auch der wirtschaftliche Gesichtspunkt verdient Beachtung. Auf diese Art lassen sich Absatzmärkte gewisser Serienprodukte gut kontrollieren und steuern, da das Konsumverhalten der Kunden statisch ist und Ausweichmöglichkeiten nicht bestehen.
Zum Zwecke der Erhaltung dieser Homogenität bedarf es schließlich der Überwachung nach innen wie nach außen. Im Inneren könnten Störenfriede und Zersetzter still heranreifen und ihr Unwesen treiben, das „Aussen“ dagegen ist definiertes Feindesland, ein Territorium der Vogelfreien, Aliens und Terroristen. Auch könnten bald Eigentümergesellschaften die öffentliche kommunale Selbstverwaltung als Organisationsform solcher Städte völlig ablösen.
Viele solche Gemeinschaften warten nur noch auf die Anerkennung als Kommunen. Entschieden wird hierbei je nach Anteil des Immobilienbesitzes, Mieter haben überhaupt kein Stimmrecht mehr, eine „one dollar-one vote“-Plutokratie ersetzt den freien und gleichen Zugang zu den Ämtern sowie die Institution einer Opposition.
Zuletzt übe man sich in der Vision einer entvölkerten Stadtlandschaft, die von unzivilisierten Horden erstürmt wird. Statt „Friede den Hütten, Krieg den Palästen“ müsste es heute heißen „Friede den Wohnungen, Krieg den Schonungen“.