Dieser Artikel entstand unter Mitarbeit von Johannes Volker Schmitt.
Nach zweiwöchiger Pause erwartet den gespannten Leser nun die zweite Folge der Sicherheits-Dokumentation: Unser Rundgang setzt sich also fort, vorbei an dem Gebäude der Münchner Rückversicherung in der Schönfeldstrasse. Am Eingang lugt ein sog. Fisch-Ei danach, ob der Besucher sich auffällig verhält. Wir „unterqueren“ die Ludwigstrasse und stellen fest, dass Unterführungen Orte der kollektiven oder zumindest der femininen Angst sind, denn hier unten lauert ja immer schon der nächste Vergewaltiger um die Ecke.

Vorbei an der Landeszentralbank defilieren wir die so herrlich überwachte Ludwigstrasse entlang bis zum Odeon. Dort, wo unter Ludwig dem Ersten Bälle und Konzerte stattfanden, sitzt heute das bayerische Innenministerium, ein 24-Stunden-Aufgebot an Polizisten gewährleistet den Objektschutz. (Die Überwachungskameras sind übrigens gegen Taubenschiss gefeit, vielleicht verschwören sich die Ratten der Lüfte eines Tages ja im gemeinsamen Kampf gegen Überwachungskameras)

Unsere nächste Station ist das 1825 erbaute Ludwig-Ferdinand-Palais (Siemens-Forum) am Wittelsbacher Platz, wo heute der Siemens-Vorstand untergebracht ist.
München galt während des Kalten Kriegs als ein vergleichsweise sicherer Standort und profitierte von seiner günstigen Lage in wirtschaftlicher Hinsicht: Es wurde zum Zentrum der Rüstungsindustrie in Deutschland und mit dem Siemens-Konzern siedelte sich eine Produktionsstätte an, deren Warenpalette von der Luft- und Raumfahrttechnik über mikroelektronische Geräte bis hin zu allerlei Errungenschaften der Überwachungstechnologie reicht. Im Inneren des Nebengebäudes werden wir misstrauisch beäugt, ein Hinweisschild verkündet: „Sicherheit ist Teamwork. Bitte tragen Sie ihren Ausweis sichtbar“.

Am Zaun des Firmeingeländes ist eine Infrarotschranke angebracht. Natürlich könnte man jetzt Verständnis für solche Maßnahmen zum Ausdruck bringen, und zwar vor dem Hintergrund, dass 1986 das Siemens-Vorstandsmitgliedsmitglied Karl Heinz Beckurts von der zweiten Generation der RAF niedergestreckt wurde. Der Sicherheitsaspekt betrifft aber meiner Meinung nach nicht nur den Schutz vor Attentaten, als deren Zielscheibe man sich fühlen mag, sondern die Abwehr jeglicher fiktiven sozialen und politischen Gefahr.
Weiter geht es zur Bayrischen Landesbank. Im Inneren des Gebäudekomplexes, in den sog. Landesbank-Arkaden, herrscht eine großartige Atmosphäre – fast wie auf irgendeiner beschaulichen Piazza in Italien. Der Platz ist allerdings Privatgrund und wer sich „daneben“ benimmt muss leider verschwinden.
Die Privatisierung öffentlichen Grundes ist ein jüngeres Phänomen, aber offenbar ebenso beliebt wie die Verpflichtung privater Sicherheitsdienste zum Objekt- oder Personenschutz sowie die Hinzuziehung von Sicherheitschauffeuren.(selbst die Staatskanzlei wollte auf diese Art wohl ein bisschen Geld sparen) Damit hat sich auch das Image der in dieser blühenden Branche Beschäftigten gewandelt. Es sind keine übergewichtigen und ruppigen Klischee-Türsteher, die das Sagen haben, sondern unauffällige aber belastbare Zeitgenossen, die häufig direkt von der Bundeswehr kommen, wo ihnen bei den KSK oder bei den Feldjägern Bildung und gute Manieren nahegebracht werden. (so zumindest Günther S. vom Bayern-Security-Service)
Im Inneren der Landesbank soll zurzeit wegen der Kirch-Pleite eine äußerst gereizte Stimmung vorherrschen. Umso besser also, dass dort Arbeitsüberwachung gepflegt wird, so lässt sich die Stressresistenz der Mitarbeiter gleich dokumentieren.

Unsere Tour setzt sich derweil in aller Munterkeit und Frische fort, vorbei am grotesken Waffenladen „Frankonia-Jagd“ durch den Palmengarten, wo die flanierende Schickeria ein wenig bei der Einnahme des vormittäglichen Champagners überwacht wird. Und dann schließlich ganz selbstverständlich durch den Bayerischen Hof, dessen Passagen fast gemütlich wirken, womit man nicht hätte rechnen müssen, wenn man sich an die nicht gar so gemütliche Sicherheitskonferenz im Februar erinnert.
Unsere nächste Einkehr ist die Löwengrube, das 1912 erbaute Polizeipräsidium. Ich werde nicht viele Worte über unsere Stippvisite dort verlieren, denn wir waren uns einig, dass sie auf dieser Führung die, wenn man so sagen darf, harmloseste Station war. Natürlich ist es unter rein ästhetischen Gesichtspunkten interessant, die Ansammlung von Monitoren in der Verkehrszentrale einmal mit eigenen Augen zu sehen und ein gewisser kriminalistischer Schauer überläuft einen vielleicht auch in den Räumen der erkennungsdienstlichen Aufnahme, wo die Delinquenten vermessen und ausgefragt werden.

Aber letztlich schließe ich trotz aller Kritik in Einzelfragen doch eher inneren Frieden mit der Polizei als mit zweifelhaften privaten Cliquen, die sich für Sicherheit zuständig fühlen. Eine solche ist zum Beispiel die Ving-Chun-Akademie in der Isarvorstadt – übrigens der wahrhaft krönende Abschluss der Führung.
Hier wird mit aggressivem Unterton Sicherheit im Allround-Sinn gepredigt. Eine seltsame Mixtur aus esoterischen Shaolin-Elementen („Du betrittst eine Ving-Chun-Schule, zeige Respekt!“) und allgemeinem Misstrauen dient als philosophisch-ideologisches Programm der sowohl privaten als auch professionellen Ausbildungsstätte.
Wer in seiner Verstocktheit nicht glauben mag, wie schlimm es um unsere Welt steht, wird auf die „Gewalt-Ecke“ verwiesen, wo Zeitungsausschnitte die Notwendigkeit der Selbstverteidigung rechtfertigen sollen. Immer wieder wird das ach so essentielle Feingefühl im Umgang mit dem Angreifer herausgestellt: Sicherheitsfaktoren im Privatleben sollen jederzeit unterbewusst wahrgenommen werden, so dass man die Faust schon zum Gegenschlag geballt in der Tasche bereithalten kann. Die ständige Warnung vor pathologischer Übersteigerung des Verteidigungstriebs nimmt sich lächerlich aus. Es scheint eine bloße rhetorische Figur zu sein, da die Realität gelinde gesprochen überaus pathologisch ist.
Wir müssen übrigens unsere Adressen hinterlassen, um überhaupt den Ausführungen des Akademieleiters folgen zu dürfen. Später ärgern wir uns darüber, dass wir die Namen und sonstigen Angaben nicht gefälscht haben.
Es ist schon früher Abend, als wir nach dem Ende der Führung beschließen, bei einem Italiener gegenüber noch etwas zu trinken, auch um unsere Erlebnisse Revue passieren zu lassen. Alle sind wir erschöpft von dieser Tour de force. Alle aber auch beeindruckt.
Pia Lanzinger gebührt ein sattes Lob für Idee, Gestaltung und Organisation des Projektes.
Denn was wir heute ermessen und erlaufen haben, ist ein kleiner Ausschnitt aus dem großen, noch unregelmäßigem Sicherheitsnetz der Versicherungsstadt München, ein Netz, das trotz aller Lücken und Bruchstellen lautlos weiter wachsen wird.
Die Ausstellung von Pia Lanzinger ist vom 26. April bis 1. September im Kunstverein München in der Galeriestrasse am Odeonsplatz zu sehen. Die Führungen finden an folgenden Terminen im Juni und Juli 2002 statt:
- 26. Juni
- 10. Juli
- 24. Juli
Die Führungen finden jeweils Mittochs 13.30 Uhr statt. Treffpunkt ist der Kunstverein München in der Galeriestrasse 4 am Odeonsplatz statt (U3/U6). Voranmeldungen per Tel.: (089) 221152 oder Fax: (089) 229352, bzw. per Email: info@kunstverein-muenchen.de. Rechtzeitige Reservierung (max. 20 Personen) und Vorausszahlung von 5 € notwendig!