Am 08.05.2003 hat die CSU-Fraktion im Bayerischen Landtag ihr umstrittenes Gesetzesvorhaben einer Novellierung des Polizeiaufgabengesetzes vorerst zurückgezogen, nachdem dieses von vielen Seiten unter anhaltenden Beschuss geraten war. Kann dies als tröstender Erfolg für (uns) Datenschützer verbucht werden oder ist es nur ein Pyrrhussieg?
Der Gesetzesentwurf sieht vor, dass die Telekommunikationsüberwachung, die bisher durch die Polizei nur im Rahmen eines Strafverfahrens zulässig war, weiter ins Vorfeld einer Straftat verlagert und nunmehr auch zur Gefahrenabwehr zulässig sein soll. Dies käme nach Ansicht vieler Kritiker einer völligen Aushöhlung des Funk- und Fernmeldegeheimnis (Artikel 10 GG) gleich.
Fraktionschef Alois Glück begründete den Verzicht auf die sofortige Verabschiedung damit, dass eine differenzierte Debatte zum Thema im Wahljahr nicht mehr möglich sei, betonte jedoch, dass die Erweiterung präventiver Befugnisse der Polizei nach wie vor einer rechtlichen Klärung bedürfe. Einige Vertreter der Opposition werteten den Schritt teils als rein taktisches Manöver, und meinten, die CSU habe lediglich Angst vor einer unkontrollierbaren öffentlichen Reaktion und wolle das skandalöse Gesetz in bereinigter Form und in aller Ruhe nach Beginn der neuen Legislaturperiode beschließen.
Zu breiten Front der Kritiker zählten neben Oppositionspolitikern auch der BJV (Bayerischer Journalistenverbund), Rechtsanwalts- und Ärztekammern ebenso wie die Evangelische Landeskirche. Diesen Berufsgruppen werden nun längere Anhörungen gewährt, da sie von den Regelungen in besonderem Maße (siehe Punkt 2 unten) betroffen sind. Selbst ein Fraktionsmitglied der CSU hatte das Gesetz als Schnellschuss bezeichnet.
Einige Argumente gegen den Gesetzesentwurf teilte der bayerische Datenschutzbeauftragte Reinhard Vetter unserem Redakteur Thomas Mayer auf dessen Anfrage hin mit. In einem SZ-Bericht vom 12.05.2003 hat Vetter übrigens zu denken gegeben, dass sich das Gefahrenbewusstein hinsichtlich Überwachung und Kontrolle in den letzten zehn Jahren bedenklich verringert habe. Vetter sprach von einer Tendenz zu „Exhibitionismus“.
Er hält das Abhören von Telefonen grundsätzlich für durchaus geboten, falls nämlich dadurch schwere Straftaten verhindert werden können.
Seine Kritikpunkte an den Maßnahmen zur Telefonüberwachung lauten im einzelnen:
1. Der Straftatenkatalog, der die Voraussetzungen präventiver Verbrechensbekämpfung enthält, sei zu unbestimmt. Im Gegensatz zur Befugnisnorm für die Telefonüberwachung zur Verfolgung von Straftaten in § 100 a der Strafprozessordnung wäre durch die Verweisung
auf Art. 30 Abs. 5 PAG (Grundsatz der Datenerhebung) eine präventive Telefonüberwachung bereits zur Abwehr weit geringerer Straftaten möglich. Zudem sei Art. 30 Abs. 5
PAG durch das Wort „insbesondere“ offen formuliert. Es stehe damit gar nicht
fest, in welchen Fällen eine Telefonüberwachung zur Abwehr von
Straftaten möglich sein soll. Diese Unbestimmtheit sei im Hinblick auf die
Schwere des Eingriffs in das Grundrecht des Telekommunikationsgeheimnisses
(Art. 10 GG) nicht zu rechtfertigen.
2. Die Forderung nach Berücksichtigung der Zeugnisverweigerungsrechte von Berufsgeheimnisträgern sei in den Entwurf nicht aufgenommen worden.
3. Der Rechtsgrundsatz der Zweckbindung bleibe unberücksichtigt. Nach dem Entwurf Art. 34 a Abs.2 Satz 4 dürfen personenbezogene Daten Dritter, die bei der Benutzung des sog. IMSI-Catcher aus
technischen Gründen anfallen, ohne weitere Begrenzung zur
Straftatenverfolgung und zur Abwehr von Straftaten im Sinn von Art. 30
Abs.5 PAG herangezogen werden.
Damit würden laut Vetter Daten völlig unbeteiligter Dritter in polizeiliche
Maßnahmen zur Strafverfolgung und zur Gefahrenabwehr einbezogen werden.
Hier sollte bezüglich der Strafverfolgung ebenso wie in der
Strafprozessordnung verfahren werden. Diese sehe in § 100 i Abs. 3 Satz
2 vor, dass Daten über Dritte, die bei Maßnahmen hinsichtlich Mobilfunkendgeräten
aus technischen Gründen angefallen sind, abgesehen vom Datenabgleich
zur Ermittlung der gesuchten Geräte und Kartennummer, nicht verwendet
werden dürfen. Sie seien nach Beendigung der Maßnahme unverzüglich zu
löschen.
Bezüglich der Gefahrenabwehr sollte die Datenverwendung auf die
Abwehr schwerer Straftaten im Sinn des § 138 StGB beschränkt werden.
4. Die durch Telefonüberwachung gewonnenen Daten seien entsprechend der Rechtssprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Eingriffen in das
Telekommunikationsgrundrecht in seinem Urteil zu Abhörmaßnahmen des BND zu kennzeichnen, damit die Verwendungsbeschränkungen, die sich aus der besonderen Zweckbindung ergeben, auch bei Datenübermittlungen beachtet
werden. Diese Ausführungen sind nach Vetter
nicht auf die Datenerhebungen durch den BND zu beschränken.
5. Der Gesetzentwurf sehe in Art. 34c vor,
dass in den Fällen der Gefahrenabwehr und der Abwehr von Straftaten
(Art. 34a Abs. 1 Nrn. 1 und 2 Entwurf) unter bestimmten Voraussetzungen eine
bloße räumliche und zeitliche Bezeichnung der Telekommunikation
ausreichen soll. Diese Regelung ginge weit über die Bestimmungen in der StPO hinaus und sei nicht normenklar, da z.B. völlig offen sei, welche
geographischen Ausmaße z.B. eine „räumlich hinreichende Bezeichnung der
Telekommunikation“ einnehmen kann. Um Verwechslungen zu vermeiden hält Vetter es für dringend erforderlich, zumindest bei Festnetzanschlüssen und bei der
Gesprächsüberwachung stets Name und Anschrift des Betroffenen sowie bei
Festnetzanschlüsse auch dessen Rufnummer anzugeben.