Am 01.09.2003 ist die Einführungsphase des neuen Verfahrens zur Erhebung von streckenbezogenen Autobahnbenutzungsgebühren (Maut) angelaufen, die bis zum endgültigen, um zwei Monate verschobenen Einführungstermin am 02.11. 2003 andauern soll.
Mit diesem Zwischenschritt sehen sich die Verantwortlichen im Bundesministerium für Verkehr, Bau und Wohnungswesen (BMVBW) dem Ziel einer verursachergerechte(re)n Anlastung der Wegekosten näher gerückt. Die Belastung der Straßen durch einen schweren LKW mit 40 Tonnen Achslast ist laut Angaben des Ministeriums
60 000 mal größer als die Belastung durch einen PKW.
Gütertransport, bzw. Speditionsunternehmen sollen in stärkerem Maß, d.i. über Steuer und die Eurovignette hinaus, an der Finanzierung der Infrastruktur beteiligt werden. Die Wettbewerbsbedingungen von Straße und Schiene im Güterverkehr werden auf diese Art mehr und mehr einander angeglichen. Durch die Differenzierung der Gebührenhöhe je nach Achslast und Emissionen wird zudem umweltpolitischen Grundsätzen Rechnung getragen.
Die durchschnittliche Höhe der Maut wurde auf 12,4 Cent/Km festgelegt, obwohl ein Gremium von Gutachtern 15 Cent/Km errechneten. Dieser vorläufige Durchschnittsatz wird durch Harmonisierungsmaßnahmen, deren Zulässigkeit die Europäische Kommission momentan prüft, auf den vorgesehenen Durchschnittsatz angehoben werden. Das Mautaufkommen soll nach Abzug der (nicht unerheblichen) Erhebungskosten dem Verkehrshaushalt zweckgebunden zugeführt werden und für den Verkehrsinfrastrukturausbau (v.a. Bundesfernstraßen) verwendet werden.
Nach einer undurchsichtigen internationalen Ausschreibung erhielt das Betreiberkonsortium Toll-Collect welches sich aus den Unternehmen Telekom, Daimler-Chrysler und Cofiroute (Frankreich) zusammensetzt, den Auftragszuschlag, wobei die genauen Vertragsbedingungen zwischen Toll-Collect und dem BMVBW der Öffentlichkeit nicht zugänglich sind. Das BMVBW rühmt sich nun, der Betreiber habe eine hoffeffiziente Erhebungstechnologie entwickelt, die ihresgleichen suche und Deutschland einen Innovationsschub sichere, von dem die gesamte Informationstechnologie profitieren könne.
Das System erlaubt neben einer manuellen Einbuchung an Mautterminals auch eine automatische Einbuchung der betreffenden LKWs. Stationäre Erfassungseinrichtungen, d.i. Mautstationen, die Bindung an Verkehrsstreifen oder Geschwindigkeitsbegrenzungen werden entbehrlich, da das System mit eingebauten Zähleinheiten (sog. „On-Board-Units“) operiert, welche sich auf das Satellitennavigationssystem GPS sowie auf den Mobilfunk stützt.
Hierin wittern Datenschützer auch die Hauptgefahrenquelle („Haupt“ deshalb, weil es noch mindestens einen weiteren kritischen Punkt gibt) Prinzipiell ist nämlich der Dokumentation der Fahrtwege und der Erstellung von Bewegungsprofilen für den Güterkraftverkehr Tür und Tor geöffnet. So warnte zuletzt Hartmut Pohl, der Direktor des Instituts für Informationssicherheit in Köln vor Lücken im System und veröffentlichte eine Liste mit Fehlern in der Software von Toll-Collect. Er monierte u.a. mangelnden Abhörschutz und die Unüberprüfbarkeit der Abrechnungsvorgänge durch den LKW-Betreiber
Da bereits vage Forderungen nach der Ausdehnung solcher Erfassungsmöglichkeiten auch auf den Personenkraftverkehr laut wurden, befürchteten Datenschützer das Ende der anonymen Mobilität. Trotz eines Zweckbindungsgrundsatzes könnten die zu Abrechnungszecken gespeicherten Daten ja beliebig weiterverwendet werden, so auch zur Rasterfahndung. Die Bielefelder Foebud-Jury verlieh dem Betreiberkonsortium Toll-Collect im vergangenen Herbst folgerichtig den Big-Brother-Award, die bedeutendste Negativ-Auszeichnung, die Datenschützer zu vergeben haben.
Neben mobilen Maut-Sheriffs gibt es fortan Mautontrollbrücken, welche die vorbeifahrenden Fahrzeuge aufzeichnen, durch deren Abmessungen die gebührenpflichtigen LKWs ermitteln und nach einer Speicherdauer von wenigen Sekunden die nicht zur Abrechnung benötigten Daten löschen. Wie Dr. Joachim Jacob, der Bundesbeauftragte für Datenschutz, zu versichern weiß, entsprechen die im Autobahnmautgesetz verankerten Regelungen zur Datenverarbeitung dem Grundsatz der Datensparsamkeit, wie er in § 3a Bundesdatenschutzgesetz verankert ist.
Ein vollständigeres Urteil über Nutzen und Nachteile der Erhebungstechnologie, sowie eine Evaluierung der datenschutzrelevanten Risiken sollte sicherlich erst nach Ende der Probephase gefällt werden. Das Stimmengewirr der Kritiker im Vorfeld lässt einen allerdings befürchten, das löbliche verkehrspolitische Ziel sei durch konzeptionelle Schwächen und blamablen handwerklichen Pfusch bereits kompromittiert worden.