Gern sonnt sich die Stadt Leipzig im Ruhm des Ausgangsortes der friedlichen Revolution. Unter ÜberwachungskritikerInnen ist sie jedoch – neben Mannheim, Stuttgart, Heilbronn – als eine der führenden Städte in Sachen Videoüberwachung bekannt. Kritische Stimmen gegenüber Video- und Überwachung sind seit der Kampagne der AG Öffentliche Räume (2000) in Leipzig völlig verstummt. Diesen Missstand nahm sich eine neue Kampagne zum Anlass, überwachungsablehnende und kritische Stimmen wieder stark zu machen:
„Die Grundlage unserer Arbeit sollte ein möglichst genaues Bild der Videoüberwachung vor Ort sein, weshalb wir uns entschlossen, – in guter alter Tradition der NYC Camera Players – einen Kamerastadtplan der Leipziger Innenstadt zu erstellen. Die so erhaltenen Zahlen übertreffen selbst unsere Erwartungen: 120 Kameras überwachen allein Straßen, Passagen u.a. öffentliche oder halböffentliche Plätze. Im Prinzip gehören die 74 Kameras im Leipziger Hauptbahnhof, die Hallen, Bahnsteige und Promenaden im Auge haben, dazu addiert – also 194.
Exzessive Ausmaße nimmt die Videoüberwachung in Innenbereichen an, die eine quasi-öffentliche Nutzung erfahren. So kommen allein im Bahnhof nochmals 106 Kameras in den verschieden Verkaufsräumen dazu. Insgesamt zählten wir 408 Kameras in Innenbereichen von Kaufhäusern, Supermärkten, Läden und Banken. Und auch die Universität verschließt sich mit ungefähr 50 Kameras nicht diesem Trend. Mit einiger Sicherheit gehen wir davon aus, dass das nicht die vollständigen Zahlen sind. Wie viele wir nicht entdeckt haben, wie viele versteckte Kameras wir nicht entdecken konnten – frau und mann denke an die vielen verspiegelten Flächen in den Konsumzonen, können wir nicht sagen. Einen Überblick, wie viele Kameras in den Straßenbahnen der LVB installiert sind, konnten wir uns noch nicht verschaffen. Die Kameras, die in Bankautomaten jedeN NutzerIn registrieren blieben unberücksichtigt.
In unserem Ansatz unterscheiden wir uns von anderen Initiativen gegen Videoüberwachung. Aus den folgenden Gründen thematisieren wir nicht nur Kameras, die den öffentlichen Raum tangieren: Alle Kameras haben normierenden Einfluss auf das Verhalten der Personen im überwachten Raum. Alle Kameras können personenbezogene Daten sammeln, die der Kontrolle der überwachten Person entzogen sind ? was dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung widerspricht. Polizei kann bei Ermittlungen auch auf Daten privater Überwachungssysteme zurückgreifen. Die Grenzen zwischen öffentlichem und privatem Raum sind diffus. Der Hauptbahnhof ist Privatgelände mit öffentlicher Bestimmung, die Peterhofpassage ist privat.
Die Privatisierung öffentlicher Räume ist geradezu eine Strategie, immer schärfere Kontrollmaßnahmen durchzusetzen. Die relativ kostengünstige Kameratechnik ermöglicht auch exzessive Überwachung von Orten für die Wachpersonal z.B. zu teuer oder überflüssig wäre – und damit eine immense Zunahme an Kontrolle. Nicht zuletzt, das zeigen unsere Zahlen, ist private Videoüberwachung gerade ein Bereich, der sich der öffentlichen Kontrolle (Datenschutz) auf besondere Weise entzieht. Das alles heißt jedoch nicht, das es keine immensen Unterschiede zwischen den verschiedenen Kameras gibt, etwa zwischen einer Kamera, die den Zugang zu einem Mietshaus kontrolliert, und einer Polizeikamera, mittels derer ganze Plätze kontrolliert werden. Aus diesem Grund achteten wir auf eine hohe Differenzierung bei der Kartographie von Kameras.
Aktionen
Auf Grundlage unsere Daten wollen wir durch verschiedene Aktionen in Zukunft Aufmerksamkeit auf die zunehmende Überwachung von Stadtraum lenken. Am 7. Oktober gingen wir mit der grotesken Verleihung des „1. Leipziger Erich-Mielke-Gedächtnis-Preises“ an die Öffentlichkeit. Der Gewinner in der Kategorie „Ironie der Geschichte“ wurde das Stasi-Museum „In der runden Ecke“, weil im Eingangsbereich des Hauses die vier neuen Kameras die beiden alten Stasi-Kameras flankieren. Der Leipziger Hauptbahnhof (Promenaden GmbH u.a.) erhielt die Auszeichnung in der Sparte „Planübererfüllung“ für die konkurrenzlose Anzahl von 186 Kameras. Als Sieger in der Kategorie „Wissenschaftlich-Technischer Fortschritt“ bekommt die Leipziger Polizei den Preis für die modernste Kameratechnik mit der höchsten Flächendeckung.“
Als nächstes Projekt werden wir öffentliche Kamerastadtführungen anbieten.