Videoüberwachungs-, Auskunft- und Ticketsysteme bei den Berliner Verkehrsbetrieben (BVG)

Dieser Artikel entstand unter Mitarbeit von Peter Ulber.

Das Berliner Fenster

Ab Sommer 2000 startete die BVG-Tochterfirma Plakat- und Außenwerbung GmbH Berlin auf der U7 und U9 das Berliner Fenster. Auf TFT-Monitorpaaren können bunte Bilder und softe Videoschnipsel angesehen werden. Inhalt steuert der Berliner Kurier bei. Technisch umgesetzt hat das Projekt die Inova Multimedia-Systeme GmbH & Co. KG aus Hildesheim (Boschtochter). Die Technik nennt sich Digital Multimedia Broadcasting (DMB).

Die Leitstelle der Berliner Verkehrsbetriebe.

Bis 2004 sollen alle ca. 1200 U-Bahnwagen mit dem System bestückt werden, um bis zu 1.6 Mio Fahrgäste täglich visuell erreichen zu können. 82% der U-Bahnbenutzer (BVG-Statistik) sollen das Berliner Fenster für eine gute Idee halten.

Die Inova Multimedia-Systeme bietet offiziell drei Produktkategorieren, die sich in „passenger information“, „passenger entertainment“ und „video sourveillance“ aufteilen. Die bei Digital Multimedia Broadcasting (DMB) maximal zur Verfügung stehenden 1.5 Mbit lassen sich also auch zur Videoüberwachung in Fahrzeugen nutzen. Vermeintliche Überwachungskameras wurden bereits auf der Linie U5 entdeckt.

Im November 1998 experimentierte zudem die Firma Soreh Telecommunications GmbH aus Berlin auf der U4 mit Wavelan-Technik. Multimediadaten wurden zur U-Bahn transferiert und auf Monitoren dargestellt. Andersherum sollten Videodaten zu einer stationären Leitstelle gefunkt werden. Das Konzept nannten sie MovingTrain Sourveillance System (MTSS). Die Übertragungstechnik nennt sich Sorelan.

Technik der Überwachungskameras

Die BVG hat zahlreiche Videokameras auf allen Bahnhöfen installiert. Diese sind an den Stationsrechnern angeschlossen, wo die analogen Videodaten zu MPEG digitalisiert werden, so daß eine Leitstelle darauf zugreifen kann. Den Teil der IP-basierten Videoübertragung hat die Firma Accellence Technologies GmbH beigesteuert.

Videodaten werden wahrscheinlich erstmal dort gespeichert, wo sie anfallen – also auf Bahnhöfen oder in Fahrzeugen. Gerade Videoaufnahmen aus einem Fahrzeuginneren lassen sich schwierig von einer Zentrale überwachen, denn das Bündelfunksystem bei den BVG bietet schlicht nicht so viel Übertragungskapazität.

Stattdessen drückt der Fahrer auf den Knopf und alles im Zeitfenster von einer Stunde vor bis eine Stunde nach dem Kopfdruck (Mai 2002) wird auf Festplatte gesichert. Mindestens bei den Bussen stammt die Videotechnik von der Meister Electronic GmbH. Pikantes Detail: Die US-Geschäftsstelle von Meister Electronic findet man in Tampa, Florida. Tampa leistete Pionierarbeit bei der Videoüberwachung öffentlicher Plätze in den USA.

Ob Bildmaterial dann auch in der Zentrale gesehen wird, ist nicht ganz klar. Das Produkt „Videosicherheitssystem VSS08“ von Meister Electronic kann mit GSM ausgerüstet werden. Die Qualität der Daten wird der Bandbreite angepaßt. Ob dieses Remote-Monitoring verwendet wird, ist ungewiß.

Bezüglich der anfallenden Kosten gibt die BVG an, 2001 durch Sachbeschädigung an Straßenbahnen 1.1 Mio EUR Schaden erlitten zu haben. Zum Vergleich kostet die Installation einer Videoüberwachungsanlage 13.000 EUR pro Straßenbahnwagen. Insgesamt verfügt die BVG über 586 Straßenbahnenwagen. Damit kommen immerhin 7.618.000 Mio EUR für die Erstinstallation der Videoüberwachung allein in den Straßenbahnen zusammen. Zusammen mit den laufen Kosten dürfte es also mindestens 10 Jahre dauern, bis sich diese Investion rechnet.

Ab einer gewissen Überwachungsdichte dürften in der Tat die Kosten durch Vandalismus zurückgedrängt werden, mindestens weil die Jugendlichen dann selbst schrubben dürfen. Strittig bleibt der Punkt „persönliche Sicherheit“. Falls man in der Straßenbahn zusammengeschlagen werden sollte – bitte was bringt es einem dann, wenn dies gefilmt wurde?

Kameras und Überwachungshinweise sind in den Verkehrsmitteln äußerst diskret installiert und werden von vielen Fahrgästen nicht wahrgenommen. Können so Überwachungskameras präventiv wirken?

Speicherung und Verwertung der Videodaten

Herauszufinden, wie lange Bildmaterial tatsächlich gespeicht wird, ist nicht so einfach. Die Zahlenangaben schwanken je nach Quelle. Da ist von unrealistischen fünf Minuten die Rede, von einer Stunde bis zu einem Tag. Herr Budde von der BVG-eigenen Hotline (+493019449) meinte bei einem Anruf: „Warum wollen Sie das denn wissen? … Sind Sie sich einer Schuld bewußt?“ Zur gestellten Frage hat er sich jedoch nicht geäußert, er wollte auch keinen weiteren Ansprechpartner nennen. Das bundesdeutsche Datenschutzrecht sieht aber ganz klar eine Auskunftspflicht seitens der Betreiber etwa von Videoüberwachungsanlagen vor.

Ein weiterer Anruf bei der BVG brachte Licht ins Dunkel: Fünf Wochen Speicherung auf U-Bahnhöfen. Das sind 3.024.000 Sekunden. Bei einem Bild pro Sekunde von sagen wir 10 kB, würden knapp 29 Gigabyte Daten pro Kamera anfallen. Mal 650 Kameras wären das etwa 18 TB. Geteilt durch 170 Bahnhöfe, sind das 110 GB Bilder pro Station. Ist das realistisch?

Die elektronische Fahrkarte tick.et

Ab Ende 1999 hat die BVG sieben Monate lang die elektronische Fahrkarte tick.et mit 26.894 Fahrgästen erprobt. Abgesehen davon, daß bei der Testphase die Tester ihre Daten offenbahren mußten, war das System anonym. Die BVG denkt gerade laut darüber nach, in der zweiten Hälfte des Jahres 2004 mit dem Aufbau des neuen Ticket-Systems zu beginnen.

Zusatzangebote, wie das Gutschreiben von Bonusmeilen bei Fluggesellschaften sollen Kunden anlocken. Momentan befindet sich das Projekt im Konzeptionsstadium. Je nach Ausprägung kann das System von einfachen Fahreinheitengutschriften bis zu Geldtransaktionen auf das eigene Konto reichen.

Ob und in welcher Dimension Datenerhebungen notwendig ist, wird sich erst bei Konkretisierung der Voschläge sagen lassen. Geldrückflüsse sind zumindest für Firmen interessant, während der normale Kunde mit billigen Kaffeemaschinen oder Werkzeugkoffern befriedigt werden kann. Vielleicht wird auch anonyme Bargeldauszahlung möglich sein. Zuviel Bonus wird wohl man angesichts der leeren Kassen nicht erwarten dürfen.

Während der Testphase existierten noch keine mobilen Geräte für Fahrkartenkontrollen. Da die jeweils letzten Fahrten auf der Karte gespeichert werden, kann die Auswertetechnik sehr einfach sein. Ein mobiles Terminal braucht nur zu überprüfen, ob die zuletzt aktivierte Fahrt noch nicht abgeschlossen ist. Dem Jahresbericht des Berliner Datenschutzbeauftragten aus dem Jahr 1999 zufolge, werden übrigens die Schwarzfahrervorfälle bei der BVG nach einem Jahr gelöscht.

Intelligente Auskunft für Mobiltelefone

Die Fahrgäste der BVG können während einer Testphase (seit 13.05.02) mit Ihren Handys auf Fahr- und Verkehrsinformationen zugreifen. Das Auskunftssystem lokalisiert dabei den Anrufer und kann so den momentanen Aufenthaltsort des Fahrgastes bei der Auskunft berücksichtigen (Testphase ab Ende Juli/Anfang August).

Die Technik stammt von der Firma LogicaCMG GmbH & Co. KG aus Hamburg. LogicaCMG präsentierte das mobile Auskunfts-System bereits auf der CeBIT 2002 in Hannover. Das neue mobile Fahrauskunftssystem arbeitet auf der Grundlage von der Firma Sun Microsystems entwickelten Java 2 Micro Edition (J2ME).

 Autor: Peter Ulber
 Veröffentlichung: 19. Juni 2004
 Kategorie: Bericht
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