Schengen II in der Kritik

Die europäische Bürgerrechtsorganisation Statewatch schlägt Alarm. In ihrem aktuellen Gutachten warnt Statewatch vor der Aushöhlung des Datenschutzes durch das neue Schengener Informationssystem (SIS II). Damit bestätigt Statewatch die Befürchtungen des europäischen Parlaments, das bereits 2003 scharfe Kritik an SIS II geübt hatte.

Der Nachfolger des 1995 eingeführten Informationsystems werde nach Statewatch zu einer regelrechten panoptischen Maschine ausgebaut. Durch die Verknüpfung verschiedenster Datenbanken entwickle sich SIS II zu einem der „repressivsten politischen Instrumente der Moderne“. Zukünftig werden dann die Daten aller 450 Mio EU-Bürger inklusive ihrer Fingerabdrücke über die neuen Reisepässe zwangsweise erfaßt.

Neben den Daten der EU-Bürgern, erheben die Behörden im Rahmen des Visa Informationsystems (VIS) auch die personenbezogenen Informationen aller VISA-Antragsteller. Bereits im März diesen Jahres hat der europäische Beauftragte für Datenschutz (EuD), Peter Johan Hustinx, vor dem Mißbrauch von Visa- und Asyldaten für allgemeine Fahndungszwecke der Polizei. In der Datenbank Eurdac etwa werden Fingerabdrücke von Asylbewerbern gesammelt, um die betreffenden Personen gegebenenfalls in das EU-Land ihrer Einreise zurückschicken zu können.

Wenngleich der europäische Rat der Innen- und Justizminister offiziell immer wieder betont, daß Visa- und Asyldaten und die SIS-Daten prinzipiell nicht vernetzt werden sollen, deuten eine zentralisierte Architektur eine gemeinsame technische Plattform mit „Interoperabilität“ darauf hin, daß letztlich ein gemeinsames Computersystem aus SIS und VIS entstehen soll. Unklar ist weiterhin, ob die DNA-Datenbanken in SIS II eingebunden werden sollen. Gegenwärtig öffnen die Mitgliedsstaaten nach und nach ihre nationalen DNA-Datensammlungen für die anderen europäischen Polizeibehörden.

Geplante Fertigstellung von SIS II ist 2007. Dann wollen alle 25 Mitgliedsstaaten an dem neuen Informationssystem teilnehmen. Statewatch zufolge sind sich die EU-Mitglieder bereits jetzt einig, daß in die zentrale Biometriedatenbank auch eine ausgefeilte Suchfunktion eingebaut werden soll. Fingerabdrücke oder Photos von Verdächtigen könnten so mit der Datenbank abgeglichen werden. Damit würde sich SIS II ganz nebenbei zu einem der mächtigsten Fahndungssysteme entwickeln. Statewatch schließt ihre Analyse dann auch mit einer sehr düsteren Prognose:

„This system will be used to exclude millions from EU territory, to exercise surveillance and controls on the suspect population (mainly immigrants), and to create a biometric register of all entrants to the EU, not dissimilar to the ‚US Visit Program‘ (if much less well known).“

Carlos Cohelio, der Berichterstatter des Ausschusses für die Freiheiten und Rechte der Bürger, Justiz und innere Angelegenheiten, hatte das EU-Parlament über die Mißstände bei SIS II unterrichtet. Das Parlament schloß sich der Position Cohelios an und forderte den Ministerrat auf dafür zu sorgen, daß das neue Informationssystem den Bürgerrechten Rechnung trage.

Das seit dem kaum Informationen über SIS II an die Öffentlichkeit gedrungen sind, führt Statewatch auf die restriktive Öffentlichkeitsarbeit der EU-Kommission und des EU-Rates zurück. Weder die nationalen noch das europäische Parlament oder die Datenschutzbehörden wurden in den Entwicklungsprozeß einbezogen. Damit steht die Einleitung eines Gesetzgebungsprozesses durch die Kommission immer noch aus. Auch eine datenschutzrechtliche Prüfung ist bis heute nicht durchgeführt worden. Ungeachtet dessen werden mit der Bereitstellung der technischen Mittel Fakten geschaffen, die nachträglich kaum wieder rückgängig gemacht werden können.

„The deliberate shielding of this information has prevented parliamentary scrutiny and public debate around the development of SIS II and flies in the face of the EU’s commitment to openness, democracy and human rights. Instead, the equally deliberate circumvention of the democratic process now threatens the human rights of those individuals who will be registered in SIS II/VIS.“

 Autor: Peter Ulber
 Veröffentlichung: 21. Mai 2005
 Kategorie: Nachricht
 Tags:

Schreibe einen Kommentar