Der Bericht „Race to the Bottom“. Corporate Complicity in Chinese Internet Censorship umfasst 149 Seiten und wurde Anfang August in New York von Human Rights Watch (HRW) vorgestellt. In diesem Bericht wird die Funktionsweise der „Großen Firewall“, wie die Zensur in Anlehnung an die Große Chinesische Mauer genannt wird, aufgezeigt, insbesondere die Beteiligung verschiedener westlicher Firmen an der Zensur. Daneben werden mögliche Maßnahmen genannt, wie diese Firmen von außen unter Druck gesetzt werden können, um ihre „Komplizenschaft“ aufzugeben, schließlich rechnet die Organisation Reporter ohne Grenzen (RSF), die sich für Pressefreiheit auf der ganzen Welt engagiert, China zu den 15 Feinden des Internets (Stand: August 2006). Da einige Aspekte nicht im Bericht erfasst sind, sondern nur angedeutet werden, wird dieser Artikel sich auch auf Quellen von RSF stützen.
- Die Mechanismen der Zensur und Überwachung
- Einige beteiligte Firmen und ihr Vorgehen
- Mögliche Einflussnahmen von außen auf die Firmen
1. Die Mechanismen der Zensur und Überwachung
Das Internet wird von mindestens zwölf Regierungsorganisationen reguliert, unter anderem das Informationsbüro des Staatsrats, das Ministerium für öffentliche Sicherheit und das Ministerium für die Informationsindustrie, das alle Lizenzen für den Betrieb von Inhaltsanbietern erteilt und verwaltet. Das Informationsbüro des Staatsrats und das Ministerium für öffentliche Sicherheit liefern im Allgemeinen die Daten für die zu zensierenden Informationen, während das Ministerium für die Informationsindustrie die Gesetze und Verordnungen verfasst und ihre Einhaltung überwacht. Letzterem obliegt auch die Aufsicht über die Infrastruktur.
Eine der neuesten Regelungen für Websites stammt aus dem September 2005 und regelt die Bereitstellung und Verwaltung von Informationen. Es wurde darin festgelegt, dass das Ziel von Nachrichtenwebsites nicht darin besteht, der Öffentlichkeit Fakten zur Verfügung zu stellen, sondern „Sozialismus zu dienen“ und „die Interessen der Nation und das öffentliche Interesse abzusichern“. Websites werden dazu aufgerufen, „gesunde“ und „zivilisierte“ Nachrichten zu verbreiten, die die „Qualität der Nation verbessert“.
Auch wenn es China eine Vielzahl von Zugangsprovidern gibt, sind nur neun Firmen zugelassen, die Infrastruktur zum Zugriff auf das Internet selbst zu betreiben. Alle anderen Unternehmen sind Kunden dieser Firmen und fungieren als sogenannte Reseller, eine Praxis, die auch in Deutschland üblich ist, wo viele Anbieter eigentlich den Zugriff auf das Netz der T-Com anbieten.
Aufgrund der oben angesprochenen Regelung für einheimische Websites und Domains in China ist ein wichtiger Bestandteil der Zensur die Filterung bestimmter ausländischer Informationsquellen für die chinesische Bevölkerung. Dies beginnt bereits auf der untersten Ebene, den Routern. Bestimmte IP-Adressen, URLs und Schlüsselwörter werden dort bereits geblockt. Desweiteren wird Filtersoftware eingesetzt, ähnlich wie sie auch z.B. bei einigen Firmen und Bildungseinrichtungen verwendet werden, dort meist um Pornografie zu sperren. Die chinesische Regierung ließ hierfür eigene Software entwickeln und kauft sie nicht aus dem Westen zu.
Diese Zensur liefert nicht, wie bei kommerziell erhältlichen Produkten üblich, eine Meldung, dass die Webseite aus Zensurgründen nicht zugänglich ist, sondern eine technische Fehlermeldung, also eine Nicht-Erreichbarkeit des Webservers oder der IP-Adresse zurück. Die Benutzer werden also bewusst getäuscht.
Email-Dienste in China werden nicht direkt überwacht. Allerdings können die Anbieter von Diensten in China zur Herausgabe von gespeicherten Daten per Gerichtsbeschluss gezwungen werden, wie dies auch in anderen Ländern mölich ist. In China ist es eine gängige Praxis, dieses Mittel zur Überführung von Dissidenten einzusetzen.
Da viele Websites aufgrund der in der Infrastruktur inhärenten Zensur nicht aufrufbar sind, sind Suchmaschinenanbieter dazu übergegangen, eigene Listen mit gesperrten Websites zu pflegen, damit diese nicht in den Suchergebnissen auftauchen. Diese legen die Firmen auf eigene Initiative an, um – nach eigener Auskunft – ihre Nutzer nur auf erreichbare Webserver zu leiten, also keine „Frustration“ durch Fehlermeldungen zu erzwingen. Auch die Cache-Funktion mancher Suchmaschinen, die eine Momentaufnahme von Inhalten auf Webservern darstellt, und mit deren Hilfe eine nicht erreichbare Website dargestellt werden kann, wird in den chinesischen Versionen deaktiviert.
2. Einige beteiligte Firmen und ihr Vorgehen
Der Bericht von Human Rights Watch nimmt ausdrücklich keinen Bezug auf die Hersteller der Router, die für die Infrastruktur des Internets in China notwendig sind. Hierfür wird ein Ausschnitt aus dem Bericht von Reporter ohne Grenzen Internet Under Surveillance zum Jahr 2004 herangezogen.
Die Firma Cisco lieferte mehrere Tausend Router an China zum Listenpreis von 16500€. Diese Router wurden mit Hilfe von Cisco-Angestellten programmiert, um „subversive“ Schlüsselwörter zu finden und die Besucher gebannter Webseiten ausfindig zu machen. Daneben lieferten laut einer Fußnote im Bericht von HRW auch Nortel und Juniper Router an China.
Yahoo! China war im Jahr 1999 eine der ersten Dependancen einer westlichen Internetfirma in China. Im Jahr 2002 unterzeichnete die Firma ein „öffentliches Versprechen zur Selbstdisziplin der chinesischen Internetindustrie“, womit sie sich zur Filterung und Auskunftspflicht gegenüber den Behörden bekannte. Nach Angaben von HRW pflegt Yahoo! China eine Liste mit Tausenden von Wörtern, Wendungen und Webseiten, die bei Suchen gefiltert werden.
Daneben bietet Yahoo! einen Email-Dienst an. Durch chinesische Gerichtsdokumente wurde bekannt, dass mindestens vier Dissidenten mit Hilfe von Benutzerdaten dieses Email-Dienstes überführt wurden: Shi Tao wurde im April 2005 zu zehn Jahren Haft wegen „Verrats von Staatsgeheimnissen an das Ausland“ verurteilt, Li Zhi im Dezember 2003 zu acht Jahren Haft wegen „Anstiftung zu Subversion von staatlichen Behörden“, Jiang Lijun im November 2003 zu vier Jahren Haft wegen „Subversion“ und Wang Xiaoning im Spetember 2003 zu zehn Jahren Gefängnis wegen „Anstiftung zur Subversion der Staatsgewalt“.
Microsoft ist seit 1992 auf dem chinesischen Markt aktiv, jedoch wurde das chinesische Onlineportal von Microsoft Network (MSN) erst im Jahr 2005 zusammen mit Shanghai Alliance Investment Ltd. (SAIL) in Betrieb genommen. SAIL wird von der Stadtverwaltung von Shanghai finanziert, der Leiter der Firma ist Jiang Mianheng, ein Sohn des früheren Staatspräsidenten Jiang Zemin.
MSN China bietet einen Blogdienst an, bei dem zu Beginn sofort Begriffe wie „Demokratie“ und „Freiheit“ als Titel von Einträgen zensiert wurden. Werden verbotene Begriffe im Text von Blogeinträgen verwendet, so kann der Text zwar online gestellt werden, jedoch werden die Blogs dann innerhalb von wenigen Tagen komplett gesperrt und vom Netz genommen.
Seit Januar 2006 ist auch eine chinesische Suchmaschine von MSN verfügbar, die ebenfalls Suchbegriffe zensiert. Jedoch enthält die Suchmaschine im Fall einer Zensur von Suchergebnissen den Hinweis, dass einige Suchergebnisse nicht angezeigt werden.
Etwas anders liegt der Fall bei Google China. Im September 2002 wurde die Website google.com von sämtlichen chinesischen Zugangsprovidern gesperrt und jeder Zugriff auf die Domain auf eine chinesische Suchmaschine umgeleitet. Nach zwei Wochen und Verhandlungen von Google mit der chinesischen Regierung wurde der Zugriff auf die Suchmaschine wieder freigegeben. Im Januar 2006 ging schließlich die chinesische Version von Google, google.cn, online. Allerdings sind dort einige Funktionen nicht zu finden, die es in anderen lokalisierten Varianten gibt, da von Regierungsseite der Zugriff auf den Google Cache gesperrt ist.
Google bietet seit September 2004 auch in China den Dienst Google News an, der Nachrichtenseiten nach Stichworten durchsuchen kann. Bestimmte Websites tauchen in den Suchergebnissen nicht auf, da diese beim Aufruf innerhalb Chinas durch die Infrastruktur blockiert würden, also für chinesische Benutzer unauffindbar wären. Dasselbe gilt auch für die Suche bei google.cn. Die Liste der gesperrten Websites und Domains stammt nicht von der chinesischen Regierung, sondern wird nach Tests von Angestellten ermittelt, wie dies auch Yahoo! und MSN machen.
Skype, die Firma hinter dem gleichnamigen Programm zur Internettelefonie und mittlerweile ein Tochterunternehmen von EBay, bietet seit Herbst 2004 auch eine Version in vereinfachtem chinesisch des Programms an, die sie zusammen mit TOM Online entwickelt hat. TOM Online ist eine chinesische Firma, die SMS-, MMS- und WAP-Informationsdienste, sowie Internetwerbung anbietet.
Die chinesische Version von Skype beinhaltet einen Filter, der den Versand von Textnachrichten mit Wörtern wie „Dalai Lama“ oder „Falun Gong“ unterbindet. Dies geschieht über den automatische Start einer Anwendung namens ContentFilter.exe beim Aufruf von Skype.
Die Filtersoftware funktioniert lokal auf dem Rechner, die inhärenten Sicherheitsmechanismen von Skype werden daduch nicht tangiert, insbesondere ist die Kommunikation zwischen verschiedenen Clients weiterhin verschlüsselt. Eine Zensur der Sprachübertragung findet nicht statt.
3. Mögliche Einflussnahmen von außen auf die Firmen
Abschließend soll noch auf die Möglichkeiten der Einflussnahme auf die an der Zensur und Überwachung beteiligten Firmen eingegangen werden. Insbesondere die Vorschläge des Berkeley China Internet Project der Graduate School of Journalism an der University of California (BCIP), des Berkman Center for Internet & Society an der Harvard Law School und des Oxford Internet Institute an der Oxford University, die einen freiwilligen Verhaltenscode für die Industrie erarbeitet haben, sind hierbei interessant.
Die Firmen werden darin aufgefordert, keine personenspezifische Daten im Bereich der Gesetzgebung der Volksrepublik China zu speichern, da diese dort zur Verfolgung von politisch Andersdenkenden von staatlichen Behörden beschlagnahmt werden können. Insbesondere sollen Daten möglichst kurz gespeichert werden. Außerdem sollen für die Nutzer auch Datenübertragungen via SSL möglich sein.
Die Firmen sollen desweiteren keine eigeninitiative Zensur durchführen, sondern nur bei verbindlicher Anordnung durch die chinesische Regierung entsprechende Maßnahmen ergreifen. Die User sollten dann über die durchgeführte Zensur informiert werden.
Zusätzlich zu diesen Vorschlägen für eine Selbstverpflichtung der Firmen gibt es eine Gesetzesinitiative in den USA, die diese freiwilligen Maßnahmen zur Pflicht für US-Unternehmen machen würde. Betroffene könnten dann die Firmen in den USA verklagen.
Abschließend werden im Bericht von Human Rights Watch die Bürger der USA und der Europäischen Union aufgefordert, an die US-Regierung bzw. die EU-Kommision zu appellieren, entsprechende Gesetzesinitiativen in die zuständigen Gremien einzubrigen, also das Parlament bzw. den Ministerrat.
- Human Rights Watch, „Race to the Bottom“. Corporate Complicity in Chinese Internet Censorship, August 2006
- Reporter ohne Grenzen, Internet under Surveillance 2004 – China, 2004
- Albrecht Ude, Great Firewall of China, Zeit online, 13.05.2006
- Xiao Qiang, The words you never see in Chinese cyberspace, China Digital Times, 30.08.2004