Am Freitag wurde im Rahmen einer großen Gala in der Bielefelder Ravensberger Spinnerei die deutschen Big Brother Awards 2007 verliehen. Die Ergebnisse der Jury um Werner Hülsmann vom FIfF und Rena Tangens (padeluun) vom FoeBuD im Einzelnen:
Der Big Brother Award in der Kategorie Arbeitswelt ging an die Novartis Pharma GmbH für die Bespitzelung ihrer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und die damit verbundene Verletzung grundlegender Persönlichkeitsrechte. So schickt das Unternehmen Mitarbeitern im Außendienst in großem Stil Detektive hinterher, um minutiös deren Arzt- und Apothekenbesuche zu protokollieren.
In der Kategorie Regional verdiente sich die Behörde für Bildung und Sport der Freien und Hansestadt Hamburg den Preis, vertreten durch Alexandra Dinges-Dierig, Senatorin für Bildung und Sport, für die Einrichtung eines Schülerzentralregisters mit dem (Neben-)Zweck, ausländische Familien ohne Aufenthaltserlaubnis aufzuspüren.
Inmitten des Tarifstreits konnte sich die Deutsche Bahn AG zusätzlich über den Big Brother Award in der Kategorie Wirtschaft „freuen“, da sie systematisch anonymes Reisen mit den Mitteln des faktischen Zwangs unmöglich macht: Auflösen von Fahrkartenschaltern, Automaten ohne Bargeldannahme, personalisierter Kauf im Internet, Abfrage des Geburtsdatums und Zwangsabgabe eines Bildes bei Bahncards, flächendeckende Videoüberwachung und ein RFID-Chip in der Bahncard 100 ohne Kunden zu informieren und vieles mehr.
Der Big Brother Award 2007 in der Kategorie Verbraucherschutz geht an die internationalen Hotelketten in Deutschland – Marriott, Hyatt und Intercontinental (stellvertretend für viele weitere) – für die Erfassung und zentrale Speicherung äußerst persönlicher Daten ihrer Gäste ohne deren Wissen. Dazu gehören Trink- und Essgewohnheiten, Pay-TV-Nutzung, Allergien, alle privaten und beruflichen Kontaktadressen, Kreditkartendaten, Sonderwünsche und Beschwerden – alles wird festgehalten.
Der BigBrotherAward in der Kategorie „Technik“ geht an PTV Planung Transport Verkehr AG für ihr System zur individuellen Berechnung der Kfz-Versicherung mittels eines so genannten „Pay as you drive“-Systems, also einem Gerät, das Fahrtroute und Fahrverhalten aufzeichnet und an die Versicherung meldet.
Auch die Politik kam nicht zu kurz: Hier wurde der Bundesminister der Finanzen Peer Steinbrück für die Einführung einer lebenslangen Steuer-Identifikationsnummer (Steuer-ID) für alle Einwohnerinnen und Einwohner der Bundesrepublik Deutschland ausgezeichnet. Sie bleibt sogar noch 20 Jahre nach dem Tod erhalten.
Der BigBrotherAward 2007 in der Kategorie Kommunikation verdiente sich nach einhelliger Auffassung die Bundesjustizministerin Brigitte Zypries für den Gesetzentwurf zur Vorratsdatenspeicherung. Mit diesem Gesetzentwurf soll in Deutschland die Vorratsdatenspeicherung von Telekommunikations-Verbindungsdaten eingeführt werden. Die Justizministerin ignoriert damit bewusst die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, das bereits 1983 im Volkszählungsurteil festgelegt hatte, dass die Sammlung von nicht anonymisierten Daten zu unbestimmten oder noch nicht bestimmbaren Zwecken mit dem Grundgesetz unvereinbar ist.
In der Kategorie Behörden und Verwaltung wurde Generalbundesanwältin Monika Harms gleich mit zwei Preisen bedacht. Sie erhielt den Big Brother Award und den diesjährigen Publikumspreis für ihre Antiterror-Maßnahmen gegen Gegner des G8-Gipfels im Mai dieses Jahres, insbesondere für die systematischen Briefkontrollen in Hamburg und die Anordnung, bei Gipfelgegnern Körpergeruchsproben aufzunehmen und zu konservieren.
Mit mehr als 500 Nominierungen wurde in diesem Jahr ein Rekord aufgestellt, so dass viele weitere „würdige“ Kandidaten leer ausgingen. Hier ist an erster Stelle der Nicht-Preisträger des Jahres 2007 zu nennen: Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble. Hier befürchtete die Jury mit Augenzwinkern, dass Herr Schäuble diese Auszeichnung fälschlicherweise als Ansporn verstehen könnte. Daher wolle man bis zu seinem Rücktritt warten.
Tadelnde Erwähnung fanden unter anderen das Bundesministerium der Finanzen: Bei seinem Internet-Auftritt wird der Aufruf jeder Seite, jede Suche, jede Bestellung von Broschüren usw. protokolliert. So weit, so normal. Weniger normal ist, dass die Daten bei Google landen: Das Finanzministerium nutzt den Dienst „Google-Analytics“, um Informationen über die Webseiten-Besucher zu sammeln und auszuwerten. Google speichert diese Daten in den USA (hier die weiteren Tadel).Die Big Brother Awards beziehen sich immer auf Einzelfälle, aber oft lassen sich Gemeinsamkeiten und Themen erkennen. Die Jury hat sich daher gefragt, welche Themen aktuell besonders „im Kommen“ sind. Das Ergebnis: Die zunehmende biometrische Erfassung, sowohl durch öffentliche als auch durch private Stellen. Hier sind wohl auch einige der Kandidaten für 2008 zu suchen.