Die Chefs des KGB (I): Dzierzynski, Menschinski, Jagoda und Jeschow (1917-1938)

Dieser Artikel entstand unter Mitarbeit von Jan-Markus Pinjuh.

Wir beginnen die Reihe Die Chefs des KGB mit den ersten vier Protagonisten zwischen 1917, der Geburt der Vorläuferorganisation Tscheka und 1938, dem Jahr, als Jeschow im Beisein seines Nachfolgers Berija erschossen wurde. Am 6. Dezember 1917 beauftragte Lenin das Mitglied des Militärrevolutionären Komitees von Petrograd (MRKP) Felix Dserschinski mit der Bildung einer Spezialkommission zur Bekämpfung des Streiks der zaristischen Beamten, welcher schon wenige Tage nach der Oktoberrevolution begonnen hatte – die Geburststunde der Tscheka und damit des KGB.

  1. Felix Edmundowitsch Dzierzynski (1917-1926)
  2. Wjascheslaw Rudolfowitsch Menschinski (1926-1934)
  3. Genrich Grigorjewitsch Jagoda (1934-1936)
  4. Nikolai Iwanowitsch Jeschow (1936-1938)

Felix Edmundowitsch Dzierzynski (Tscheka und GPU, 1917-1926)

Felix Edmundowitsch Dzierzynski wurde am 11. September (sic) 1877 als Sohn eines Gutsbesitzers in der Nähe von Minsk geboren – und stammte wie Lenin aus der Klasse der Kleinadeligen. Schon in seiner Jugend schloß er sich radikalsozialistischen Gruppen an und wurde zwischen 1897 und 1902 mehrmals mit Verbannung nach Sibirien belegt. Nach seiner Teilnahme an den Erhebungen von 1905 wurde er wieder (mit kurzer Unterbrechung) nach Sibirien geschickt, bis die Februarrevolution 1917 ihm wie vielen Gefangenen Amnestie gewährte.

Kurz nach der Oktoberrevolution betraute Lenin den verdienten Bolschewiken mit dem Aufbau der Tscheka (Außerordentliche Kommission zum Kampf gegen Konterrevolution und Sabotage), der sie zum entschiedenen Instrument des „roten“Terrors gegen die ,weißen‘ Feinde der Revolution machte. Dieser richtete sich bald auch gegen die eigenen Leute, so nach dem gescheiterten Attentat einer enttäuschten Kommunistin im September 1918 auf Lenin und dem Aufstand der Kronstädter Matrosen, bei dessen Niederschlagung 500 Seeleute niedergemacht wurden.

Als Gefolgsmann Stalins baute Dzierzynski die Tscheka seit 1922 unter der Bezeichnung „Staatliche politische Verwaltung“ (GPU, ab 1934 NKWD) zum Machtsicherungsapparat aus, der jede Opposition gegen die totalitäre Herrschaft im Keim erstickte. Der aufstrebende Stalin sah in ihm einen willfährigen Helfer und sorgte für dessen Aufnahme ins Politbüro. Neben seiner Tätigkeit als Geheimdienstchef leitete Dzierzynski von 1921 bis 1924 das Volkskommissariat für Verkehr und von 1924 bis zu seinem Tode den Obersten Wirtschaftrat der UdSSR. Dzierzynski starb nicht eines unnatürlichen Todes – im Gegensatz zu etlichen seiner Nachfolger – sondern erlag am 20. Juli 1926 in Moskau einem Herzschlag.

Wjascheslaw Rudolfowitsch Menschinski (GPU, 1926-1934)

Dzierzynskis Nachfolger, Wjascheslaw Rudolfowitsch Menschinski, geboren 1874, gehörte ursprünglich nicht zu Stalins Fraktion, die sich schon vor Lenins Tod formierte und die Machtübernahme vorbereitete. Während des Bürgerkrieges warnte er Trotzki bei einem Frontbesuch vor den Machenschaften Stalins, der raffiniert gegen ihn intrigierte.

Menschinski war durch und durch Intellektueller – bis zu Stalins Tod übrigens der einzige Vorsitzende der Geheimpolizei mit höherer Schulbildung – naturwissenschaftlich interessiert und sprachbegabt, – er soll 12 Sprachen beherrscht haben, darunter Chinesisch, Japanisch, Persisch und Türkisch – doch war er ein Befehlsempfänger, dem es an der politischen Autorität Dzierzynskis fehlte und der sich allzu schnell in die Stalinschen Intrigen einspannen ließ.

Unter Menschinski begann dann auch die GPU im innerparteilichen Machtkampf eine größere Rolle zu spielen. Als Stalin im Oktober 1927 Sinowjew und Trotzki aus dem Zentralkomitee der KP entfernen wollte, lieferte Menschinski willfährig einen Bericht, in dem beide der Anstiftung eines Militärkomplotts bezichtigt wurden; Hauptbelastungszeuge war ein weißgardistischer Offizier, der sich als Agent der GPU entpuppte.

In seiner Stalin-Biographie berichtet Trotzki, daß Kamenew Menschinski zur Rede stellt, ob er denn Stalin für geeignet halte, die Revolution weiterzuführen, worauf dieser der Frage auswich und auf die nachbohrende Frage, warum er denn Stalin an eine solche Machtposition habe kommen lassen, geantwortet habe: Nun ist es zu spät. Menschinski starb, schon seit längerem gesundheitlich angeschlagen, 1934 unter mysteriösen Umständen.

Genrich Grigorjewitsch Jagoda (NKWD, 1934-1936)

Mit Menschinskis Nachfolger Jagoda sollte die Reihe von Geheimdienstchefs beginnen, die Opfer ihres eigenen Systems wurden. Über Genrich Jagodas Jugend, der 1891 als Herschel Jehuda geboren wurde, ist nicht viel bekannt, nicht einmal der genaue Geburtstag steht fest. 1907 trat er in die Russische Sozialdemokratische Partei ein und legte sich den Decknamen Jagoda (Beere) zu. Doch es waren wohl nicht hehre Ideale, die den Anarchisten und Analphabeten zu diesem Schritt bewogen, sondern seine Nebentätigkeit als Spitzel der zaristischen Geheimpolizei Ochrana. Stalin soll dieser Umstand bekannt gewesen sein, um Jagoda erpressbar zu machen, verbot er offizielle Nachforschungen im Ochrana-Archiv.

Als (zugegebenermaßen) „Geheimdienstexperte“ aus alten Tagen wurde er 1920 – mit 29 Jahren- in das Präsidium der Tscheka aufgenommen und avancierte auch bald zum „Mann fürs Grobe“. Dieser Ruf blieb an ihm haften. Nach unbestätigten Quellen hat er nicht nur seinen Vorgänger Menschinski bei Seite geräumt, sondern soll auch Lenins Ableben sowie das des Dichters Maxim Gorki durch Gift beschleunigt haben. Unbestrittene Tatsache dagegen ist, daß Stalin in ihm einen gewissen- und skrupellosen Helfer fand, der mit der Eröffnung der sog. Moskauer Schauprozesse im August 1936 dem Terror der Dreißiger-Jahre, dem er später selbst zum Opfer fallen sollte, den Weg bahnte.

Einen Monat später schon wurde er wegen „Ineffizienz“ bei der Aufklärung des Kirow-Mordes (1934) von Nikolai Jeschow abgelöst und mit dem Amt des Kommissars für Wasserwirtschaft aufs Abstellgleis geschoben – vorher war er Generalkommissar für Staatssicherheit im Range eines Marschalls der Sowjetunion. Am 4.4.1937 wurde er wegen Verbrechen im Amt (des Geheimdienstchefs!), darunter Veruntreuung von Staatsgeldern und ausschweifendem Lebenswandel, verhaftet und vor das Tribunal gebracht, das er selbst mit eingerichtet hatte.

Der berühmt-berüchtigte Ankläger Wyschinski charakterisierte den ehemaligen NKWD-Chef treffend: „Jagoda war kein gewöhnlicher Mörder, sondern ein Mörder mit der Garantie, daß man ihn nicht erwischen würde.“ Am 15. 3. 1938 wurde der ehemals große Kommissar von einem kleinen Kommissar im Kellerkorridor der Lubjanka durch Genickschuß liquidiert. Bevor man ihn tötete soll er noch zum Hohn seiner Henker die „Internationale“ gegrölt haben.

Jagoda war von seinem Charakter der geborene Geheimdienstler. Es spricht auch für seine Lebensklugheit, daß er sich 16 Jahre lang in seiner hohen Stellung in der Geheimpolizei zu halten wußte – zu lang für Stalins Geschmack. Doch der Grund für seinen Sturz war nicht seine Langlebigkeit, sondern sein Hochmut. Als ihm Stalin kurz vor seinem Fall gestattete, im Kreml zu wohnen, und ihm überdies versprach, ihn beim nächsten Parteitag ins Politbüro aufzunehmen, sah sich Jagoda schon als designierter Nachfolger Stalins. Im Politbüro herrschte Bestürzung, als ruchbar wurde, daß der Bluthund Jagoda Mitglied werden sollte.

Den letzten Anstoß für Stalins Entscheidung, seinen Günstling fallen zulassen, soll die gerade erschienene Übersetzung von Stefan Zweigs Biographie über den berüchtigten französischen Polizeiminister Fouché gegeben haben. Fouché, der hintereinander drei Herren (dem Direktorium, Napoleon und Ludwig XVIII.) diente, wird darin als der perfekte Verräter beschrieben. Und Stalin wird dabei sicher nicht allein physiognomische Ähnlichkeiten (das blutlose, hohlwangige Gesicht) mit Jagoda bemerkt haben.

Nikolai Iwanowitsch Jeschow (NKWD, 1936-1938)

Der Igel hat die Beere gefressen. Mit diesem Wortspiel wurde im Flüsterwitz die Ablösung Jagodas (,Beere‘) durch Nikolai Iwanowitsch Jeschow (Jesch: ,Igel‘) kommentiert. Über die Jugend des 1895 geborenen Jeschow ist nicht viel bekannt. Ursprünglich Fabrikarbeiter in Rostow, hatte er sich über verschiedene kleine Posten in Stalins Sekretariat hochgearbeitet, bis er im Frühjahr 1935 Präsident der Parteikontrollkommission wurde; in rascher Folge stieg er zum Mitglied des Politbüros auf und wurde in das Organisationsbüro des Zentralkomitees gewählt. Obwohl er noch jung war, hatte man ihn auf Posten berufen, die eigentlich altangesehenen Parteimitgliedern vorbehalten waren

Nachdem Jagoda wegen angeblicher „Ineffizienz“ bei der Aufspürung „trotzkistisch-sinowjewistischer“ Umtriebe geschaßt wurde, trat Jeschow im September 1936 an dessen Stelle als Chef des NKWD. Seine etwa zweijährige Amtszeit, die bis November 1938 dauerte, sollte unter der Bezeichnung „Jeschowtschina“ als Zeit des Terrors und der Schauprozesse in die sowjetische Geschichte eingehen.

Jeschows Aufgabe war es nun, imaginäre Verschwörungen zu entlarven und die Regie bei öffentlichen Verhandlungen zu führen, in denen die Angeklagten ihre Sünden vor der ganzen Welt zu bekennen und einen plausiblen Rechenschaftsbericht über ihre diversen Komplotte abzuliefern hatten. So wurde auch der alte Lenin-Gefährte und bekannte Parteitheoretiker Bucharin, der Stalin als potentieller Rivale ein Dorn im Auge war, verhaftet und der Teilnahme an der ,trotzkistischen Verschwörung‘ angeklagt. Dabei erwies sich Bucharin als hartnäckiger Brocken, der auch noch die ,Frechheit‘ hatte, sich zu verteidigen und nicht das von Jeschow gewünschte Geständnis lieferte; es sollte ihm aber auch nichts nützen.

Im Verlaufe der Jeschowtschina weitete sich der Terror dann von alten Stalin-Kontrahenten auf die ganze politische und militärische Führung aus: Die Zahl der liquidierten Parteifunktionäre und Armeekommandeure betrug schätzungsweise 40000. Dann griff der Terror auch auf breite Bevölkerungsschichten über: Schließlich wurden nur noch Quoten von Volksfeinden, die zu eliminieren waren, an die untergebenen NKWD-Stellen weitergereicht. Wer seine Norm nicht erfüllte, geriet selbst in Gefahr exekutiert zu werden.

Am 17. November 1938 wurde der Terror durch ZK-Beschluß gestoppt und Massenerschießungen verboten. Die Parteiführung hatte eingehen, daß der Terror zu diesem Zeitpunkt ein Ausmaß erreicht hatte, der ihre eigene Position zu unterminieren drohte. Kaum jemand glaubte noch der offiziellen Propaganda von einer notwendigen Säuberung der Gesellschaft von ihren Feinden. Fast jeder hatte einen ,Volksfeind‘ in der Familie oder in seinem Freundes- oder Bekanntenkreis. Das Regime wurde immer mehr gehaßt. Zur Reinwaschung brauchte Stalin Sündenböcke. Jeschow wurde eine Woche nach dem Ende der Massenerschießungen als Chef des NKWD abgesetzt und zum Volkskommissar für Schiffahrt ernannt.

Es liegt eine gewisse Ironie darin, wenn der Hauptverantwortliche für die Deportationen zum Transportminister degradiert wird. Sein Nachfolger als Geheimdienstchef wurde Lawrentij Berija. Jeschow hatte nach seiner Ernenneung 1936 eine Säuberung im NKWD veranlaßt, die vor allem die Gefolgsleute seines Vorgängers Jagoda traf. Berija ließ nun Jeschows Leute verhaften und hinrichten. Von 1936 bis 1940 wurden mehr als 21000 NKWD-Offiziere erschossen. Jeschow selbst wurde im April 1939 verhaftet und ein Jahr später als „Volksfeind“ im Beisein von seinem Nachfolger Lawrenti Berija erschossen.

 Autor: Peter Ulber
 Veröffentlichung: 20. April 2008
 Kategorie: Bericht
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