Bundesjustizminister Heiko Maas hat am 14.03. einen Referentenentwurf vorgelegt, mit dem sogenannte Hate-Speech in sozialen Netzwerken eingedämmt werden soll. Seit 27.03. liegt eine zweite Version vor, die eine ganze Reihe von Änderungen enthält.
Das Gesetz betrifft zunächst Internetplattformen, die es Nutzern ermöglichen, „beliebige Inhalte mit anderen Nutzern auszutauschen, zu teilen oder der Öffentlichkeit zugänglich zu machen“, wenn diese mit dem Ziel betrieben werden, Gewinne zu erwirtschaften. Mit dieser Definition sind nicht nur soziale Netzwerke vom geplanten Gesetz betroffen, sondern auch Instant-Messaging-Apps wie WhatsApp, Speicheranbieter wie Dropbox, Email-Dienstleister wie GMX und Gmail, sowie Anbieter von Usenet-Gateways.
Das Gesetz wird nur Netzwerke ab 2 Millionen Benutzer in Deutschland betreffen. Das bedeutet, dass es beinahe unmöglich wird, ein neues soziales Netzwerk aufzubauen, weil der Betreiber beim Überschreiten dieser Grenze zusätzlichen Mehraufwand aufgehalst bekommt. Die Marktstellung der bestehenden Netzwerke wird gestärkt, neue Netzwerke oder auch Email-Provider können kaum aufgebaut werden.
Mit dem zweiten Entwurf wurde ein Paragraph eingefügt, der den § 14 TMG so ändert, dass Internetprovider nicht nur zur Bestandsdatenauskunft bei der Verfolgung von Terrorismus und Urheberrechtsverletzung verpflichtet werden, sondern grundsätzlich bei allen „absolut geschützten Rechten“ die Bestandsdaten von Kunden „auf Anordnung der zuständigen Stellen“ herausgeben müssen. Mit Bestandsdaten sind Daten gemeint, die durch die Eröffnung eines Nutzerkontos, Abrechnung und Nutzung anfallen oder dafür benötigt werden.
Straftatbestände, die durch das Gesetz abgedeckt werden
Neben einer Berichtspflicht über die Einhaltung des Gesetzes werden soziale Netzwerke verpflichtet, eine Beschwerdestelle über Rechtsverletzungen einzurichten. Nach Eingang einer Beschwerde müssen „offensichtlich rechtswidrige Inhalte“ innerhalb von 24 Stunden, und „rechtswidrige Inhalte“ innerhalb von 7 Tagen gelöscht bzw. der Zugang dazu gesperrt werden.
Die Liste der Straftaten, die unterbunden werden soll ist relativ lang, es handelt sich um folgende Paragraphen aus dem Strafgesetzbuch (StGB):
- § 86 Verbreiten von Propagandamitteln verfassungswidriger Organisationen
- § 86a Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen
- § 90 Verunglimpfung des Bundespräsidenten
- § 90a Verunglimpfung des Staates und seiner Symbole
- § 111 Öffentliche Aufforderung zu Straftaten
- § 126 Störung des öffentlichen Friedens durch Androhung von Straftaten
- § 130 Volksverhetzung
- § 140 Belohnung und Billigung von Straftaten
- § 166 Beschimpfung von Bekenntnissen, Religionsgesellschaften und Weltanschauungsvereinigungen
- § 185 Beleidigung
- § 186 Üble Nachrede
- § 187 Verleumdung
- § 241 Bedrohung
- § 269 Fälschung beweiserheblicher Daten
Wirkt diese Liste noch so, als ginge es um Straftatbestände, die unter den rechtlich nicht definierten Begriff „Hate-Speech“ fallen, so wurde im zweiten Entwurf die Liste um folgende Punkte erweitert:
- § 89a Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat
- § 90b Verfassungsfeindliche Verunglimpfung von Verfassungsorganen
- § 91 Anleitung zur Begehung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat
- § 100a Landesverräterische Fälschung
- § 129 Bildung krimineller Vereinigungen
- § 129a Bildung terroristischer Vereinigungen
- § 129b Kriminelle und terroristische Vereinigungen im Ausland; Erweiterter Verfall und Einziehung
- § 131 Gewaltdarstellung
- § 184b Verbreitung, Erwerb und Besitz kinderpornographischer Schriften
- § 184d Zugänglichmachen pornographischer Inhalte mittels Rundfunk oder Telemedien; Abruf kinder- und jugendpornographischer Inhalte mittels Telemedien
Dabei fällt auf, dass jetzt auch § 91 (Anleitung zur Begehung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat) enthalten ist, fällt doch unter diesen Paragraphen die traditionell mit den Gefahren des Internet verbundene Verbreitung von Bombenbauanleitungen. Ermittlungen im Zusammenhang mit dem Anarchist Cookbook um 1990 waren der Startschuss für eine politische Netzgemeinde, deren erster Höhepunkt die Unabhängigkeitserklärung des Cyberspace von 1996 war.
Aufwand bei den „sozialen Netzwerken“
Durch die Kürze von 24 Stunden bei „offensichtlichen Rechtsverletzungen“ benötigen soziale Netzwerke eine Heerschar von Anwälten, die auch am Wochenende erreichbar sein müssen. Mit der weit gefassten Definition von sozialen Netzwerken betrifft das neben den großen sozialen Netzwerken Facebook, Twitter, Pinterest, Youtube, Instagram, Xing, Snapchat auch Messenger wie Skype, WhatsApp, iMessage, Speicheranbieter wie DropBox, Email-Anbieter wie Gmail, GMX, web.de, und große One-Click-Hoster.
Das Problem ist, dass Gerichte für die Prüfung der Straftaten aus dem Katalog meist länger brauchen als die im Gesetz vorgesehene Frist von insgesamt 7 Tagen. Wenn die Dienstleister die Prüfung schneller vornehmen müssen, werden sie im Zweifelsfall die Inhalte eher löschen oder sperren als sie weiter online zu halten.
In der Praxis wird es wohl dazu kommen, dass Inhalte deutlich schneller gesperrt werden und die Richtlinien der Netzwerke entsprechend angepasst werden.
Sinnvoller wäre es, einen einstweiligen Rechtsschutz bei den entsprechenden Straftaten einzuführen, der vor einer Verurteilung die Löschung der Inhalte vorab mit einer Beweissicherung für ein späteres Verfahren in der Hauptsache beschleunigt.
Zensursula erweitert
2009 gab es eine Debatte um Kinderpornographie und dessen Bekämpfung im Internet. Es wurde ein Zugangserschwerungsgesetz vorgeschlagen, beschlossen, aber nie angewandt und schließlich 2011 aufgehoben.
Ging es damals nur um die auch hier aufgeführten Tatbestände zur Kinderpornographie, wurde in diesem Fall die Liste der Tatbestände erweitert, bevor das Gesetz beschlossen wurde. Weitere Tatbestände werden sicherlich vorgeschlagen werden, die Büchse der Pandora wird geöffnet.
Damals sollte das Bundeskriminalamt (BKA) eine Liste der zu sperrenden Inhalte pflegen. Abgesehen davon, dass es schwer ist, Inhalte eindeutig als rechtswidrig einzustufen, wird mit diesem Gesetzentwurf von den Plattformen verlangt, eine Liste oder ähnliches zu führen.
Damit werden private Dienstleister nicht nur zu Hilfspolizisten, sondern de facto zu Privatgerichten.
Auswirkungen für User
Ein Problem bei sozialen Netzwerken sind willkürliche und nicht nachvollziehbare Sperrungen von Inhalten durch die Dienstleister. Häufig wird zusätzlich der Nutzeraccount für eine begrenzte Zeit ebenfalls gesperrt.
Wenn man berücksichtigt, dass Youtube Aufklärungsvideos über LGBTQ als jugendgefährdend einstuft, ist es durchaus vorstellbar, dass diese Videos im vorauseilenden Gehorsam als Kinderpornografie betrachtet werden. Für viele Jugendliche fällt damit die Möglichkeit weg, als Angehörige von sexuellen Minderheiten sich Informationen zu beschaffen.
Was für Privatpersonen ärgerlich ist, wird für Menschen, die Geld mit sozialen Netzwerken verdienen, eine Bedrohung der wirtschaftlichen Existenz. Das können dann unabhängige Produzenten von Youtube-Videos sein oder auch Social-Media-Manager von Unternehmensaccounts sein, wenn sie diesen mit einem privaten Profil administrieren oder durch die Klarnamenspflicht Zweitaccounts nicht möglich sind.
Auch hier wäre eine rechtliche Regelung sinnvoller, die Plattformen ab einer bestimmten Marktdurchdringung zu klaren Richtlinien verpflichtet, so dass sie Accounts eben nicht willkürlich sperren dürfen.
Die Autorin und Bachmann-Preisträgerin Stefanie Sargnagel wurde schon mehrfach von Facebook gesperrt, weil andere User sie bei Facebook gemeldet hatten. Dabei zeigt sich, dass im Zweifelsfall eher gesperrt wird als nicht, der Willkür der Netzwerke sind die User schutzlos ausgeliefert. Mit einer konzertierten Aktion ist das relativ leicht möglich.
Ausgelöst wurde die letzte Sperre durch den Bericht eines österreichischen Boulevard-Blatts, das Adresse und Informationen über die Schriftstellerin veröffentlicht hat, die man als Aufruf zu Straftaten sehen kann. Das geschah völlig unabhängig von sozialen Netzwerken.
Apropos Österreich: Dort wurde ein Gesetz gegen Fake-News abgeschafft, weil es in der Praxis nicht durchsetzbar war. In Deutschland wurde ein solches Ende des vergangenen Jahres vom Bundesjustizminister gefordert. Wir freuen uns schon auf den Entwurf. Nicht.